Jeder kennt das Sprichwort „Der Spatz in der Hand ist besser, als die Taube auf dem Dach“. Sie ahnen gar nicht, wie bestürzend Recht der Volksmund damit hat!
Wir leben seit fast vierzig Jahren in einem mehr als hundert Jahre alten Haus. Es ist sehr hübsch anzusehen mit einem Erker, mit Regenrinnen, die in Wasserspeiern enden, und einem spitzgiebeligen Dach über dem Erker, das oben im zweiten Geschoss rechts und links seitlich jeweils einen Hohlraum freilässt. Die ganze Konstruktion ist etwas verwinkelt, wie man das von alten Häusern kennt. An die genannten Hohlräume kommt man von innen aus keinem Fenster heran, definitiv nicht. Ich berichte das jetzt alles so ausführlich, weil sich nur so die Tiefe des Problems verstehen lässt.
Wir wohnten jahrzehntelang in diesem wunderbaren, heißgeliebten Haus in Ruhe und Frieden.
Damit war es vorbei, als vor drei Jahren eine Horde Tauben beschloss, zu Hausbesetzern zu werden – vielleicht waren sie aus Berlin oder Hamburg eingewandert und hatten da etwas missverstanden, wer weiß das schon? Sie erwiesen sich jedenfalls als echte Revoluzzer, die sich vor nichts fürchteten. Über ein paar auf den Regenrinnen und Fensterbrettern angebrachte Stacheln lachten sie nur gurrend, aufgehängte Plastik-Krähen nahmen sie in unnachahmlicher Arroganz noch nicht einmal zur Kenntnis.
Nachdem wir uns drei Jahre lang Morgen für Morgen die Nerven ruinieren ließen von dem unglaublichen Lärm, den eine Handvoll Tauben veranstalten kann und uns über den enormen Dreck ärgerten, den sie hinterließen, ohne auf Bausubstanz oder Garten Rücksicht zu nehmen, beschloss ich, dieses Problem professionell lösen zu lassen.
Man beachte schon jetzt die Ironie der Situation! Ich wollte mich harmlos und unschuldig eines Problems entledigen. Ha!!! Ich zauberte mir eins an die Backe!
Ich rief im Februar eine Firma an, die sich einer effizienten Taubenabwehr brüstete. Die Herren beguckten sich das Haus, sahen, das dem Problem mit einfachen Mitteln schlecht beizukommen war und befanden, mit einem Hubwagen könnte, ja müsste, es gehen. Den Hubwagen mussten sie sich natürlich ausleihen bei der Firma Gräber, und wenn man solch einen Lastwagen mit Hubwagen passgenau vor einem Haus platzieren will, braucht man freien Parkplatz, dazu muss man bei der Stadt beantragen, dass sie Schilder aufstellt, die für den betreffenden Tag die Stelle freihält. Der Taubenabwehrer, der mir ohnehin erst für den März einen Termin in Aussicht gestellt hatte, ließ wochenlang nichts von sich hören, meldete sich schließlich Anfang April, um mir mitzuteilen, dass er wohl wegen dem Corona-Tohuwabohu niemanden bei der Stadt erreichen können und vertröstete mich mit der Zusicherung, dass er wirklich dran sei. Schließlich eröffnete er mir am 16. April, dass er für 20. April zusagen könne und dass noch am gleichen Tag von der Stadt die Halteverbots-Schilder aufgestellt würden.
Als ich nachmittags vor die Tür trat bemerkte ich, dass sehr schräg gegenüber Halteverbots-Schilder für den 20. April aufgestellt waren. Dieser Anfang hätte mir zu denken geben müssen. Aber hinterher ist man immer klüger. Da hätte ich noch Zeit gehabt, die ganze Sache abzublasen. Was wäre mir nicht erspart geblieben! Stattdessen wetzte ich zurück in die Wohnung, rief den Taubenabwehrer an, um den kostbaren Termin zu retten, und er versprach, sich darum zu kümmern. Tatsächlich kamen zwei Stunden später Mitarbeiter der Stadt und stellten die Schilder um, sie hatten sich die Hausnummer falsch notiert.
Shit happens, dachte ich da noch und ahnte nicht, wie recht ich damit hatte.
Am zwanzigsten April kamen die Taubenabwehrer tatsächlich mit ihrem Hubwagen an und arbeiteten zunächst stundenlang daran, Taubenkot und anderen Dreck zu entfernen, bevor sie alles, was sich verstacheln ließ, verstachelten und zu guter Letzt die beiden Hohlräume mit Netzen verschlossen.
An diesem Abend dachte ich, ich hätte erfolgreich ein Problem gelöst. Welch ein Irrtum!
Wenige Tage später stellte sich nämlich heraus, dass in einem der Hohlräume noch eine Taube, wie ich zunächst glaubte, festsaß. Bald erwies sich, es mussten drei oder womöglich sogar vier sein.
Aber was tun? Ich wusste, dass der Taubenabwehrer wieder Wochen brauchen würde, bis er käme, während der Dachdecker, der das Haus von einem früheren Auftrag kennt, mir sagte, erstens habe er keine so hohe Leiter, zweitens sei er auf Wochen ausgebucht.
Sehr bald begann es bei mir zu klingeln. Nachbarn, Passanten, wer auch immer, jeder glaubte, mich auf das Problem aufmerksam machen zu müssen, manche freundlich, manche weniger freundlich. Einer sah mich an, als sei ich ein Serienkiller. Als ich ihm die Situation ausführlich geschildert hatte und ihn fragte, ob er eine gute Idee hätte, ich sei für jede Lösung offen, schnauzte er mich nur an, da müsse man etwas tun und ging wieder.
Gestern früh klingelten zunächst zwei völlig Fremde an meiner Tür, um mir zu sagen, dass es so nicht ginge, dann klingelte jemand vom Tierheim. Der wusste auch keine Lösung und hatte viel Verständnis für mich – jedenfalls nahm er mir wohl ab, dass mir die Viecher auch von Herzen leidtaten, aber ich einfach ratlos war. Sehr betroffen wirkte er persönlich nicht, gab mir aber noch den Tipp, es doch einmal bei der Feuerwehr zu versuchen. Gute Idee, dachte ich, darauf war ich noch nicht gekommen. Also rief ich bei der Feuerwehr an, wo mir beschieden wurde, sie seien dafür nicht zuständig und überhaupt würde mich ein Einsatz etwa zweitausend Euro kosten. Ich weiß nicht, wer leichten Herzens zweitausend Euro für drei Tauben ausgeben würde, ich jedenfalls nicht, schon gar nicht in der jetzigen wirtschaftlichen Situation. Der Taubenabwehrer, den ich auch anrief, war zunächst nicht zu erreichen.
Was sollte ich tun?
Nach unserem nachmittäglichen Spaziergang wartete die Polizei vor der Tür auf uns. Tja, die Nachbarschaft ist echt tierfreundlich – ich kann nur hoffen, die kaufen auch immer das gute, teure Bio-Fleisch aus tiergerechter Haltung und die Bio-Eier. Die Polizisten waren außerordentlich freundlich und verständnisvoll. Ich bat sie ins Haus, damit sie sich selbst davon überzeugen konnten, dass wir keine Chance haben, an den Hohlraum ranzukommen. Ich erwähnte auch meinen vergeblichen Versuch bei der Feuerwehr. Die Polizisten meinten, sie hätten vielleicht mehr Glück. Auf meinen zaghaften Einwand, ich sähe aber nicht ein, zweitausend Euro für die Tauben hinzulegen, meinte einer von beiden: „Vollkommen zurecht!“ Es tut gut, sich so verstanden zu fühlen, und schon gar von den Behörden.
Durch die Polizei ließ die Feuerwehr sich herbei zu erscheinen. Sie kamen mit zwei (!) großen Einsatzwagen mit Blaulicht. Ja, gestern war echt mal was los bei uns in der Straße. Sonst ist es ja eher langweilig. Waren die Nachbarskinder schon durch das Auftauchen der Polizei vor unserer Tür sehr aufgekratzt, waren sie restlos begeistert, als auch noch die Feuerwehr zu bestaunen war. Aus allen Fenstern guckten Leute, es gab einen mittleren Auflauf auf der Straße, das einzige, was gefehlt hat, waren die Presse und die Tagesschau.
Es endete allerdings wie das Hornberger Schießen.
Nach einem kurzen Palaver mit den Polizisten und einem noch kürzeren Blick auf unser Haus, erklärte sich die Feuerwehr wiederum für nicht zuständig und dampfte ab. Den Polizisten, inzwischen genauso ratlos wie ich, blieb als ultima ratio, meine Personalien samt Geburtsdatum aufzunehmen und mir zu sagen, ich müsste den Taubenabwehrer dazu bewegen, das Problem zu lösen. Wie ich den dazu zwingen soll, haben sie mir allerdings nicht verraten. Bisschen Eigenverantwortung muss man ja auch beim Bürger lassen. Er rief mich gestern Abend übrigens noch zurück, wurde ungehalten, weil ich zugegebenermaßen nicht meine sonst legendäre Liebenswürdigkeit an den Tag legte, meinte, das Haus sei schuld, nicht er, solche Aufträge sollte man am besten gar nicht annehmen (tja, wie gesagt, hinterher ist man immer klüger…) und überhaupt würde ich ihm jetzt sein Abendessen versauen. Letztlich ließ er sich dazu bewegen, am folgenden Tag mal vorbeizuschauen, aber nur, wenn es nicht regnet. Es fiel wochenlang kein Tropfen – und was tut es heute? Ich brauche nichts weiter zu sagen, oder?
Wenn ich demnächst leider hinter Gitter muss, weil ich drei Tauben plus einen Taubenabwehrer gekillt habe, schicken Sie mir doch bitte gelegentlich eine Postkarte. Vielleicht eine mit einem Spatz drauf.
Blödemistkackviecher – da muss man ja zum Vogelrassisten werden.
Bei mir auf dem Balkon suchen sie im Moment wohl ein Nestbaugrundstück und obendrein versuchen sie, sich an der für „anständige Vögel“ und Alexandersittiche aufgehängten Futterröhre gütlich zu tun – widerlich! Ich verstehe Dich!!!
Man sollte für Turmfalken auf katholischen Kirchtürmen demonstrieren!
Mit mitfühlendsten Grüßen aus Köln – Luitgard