Der Spatz in der Hand…

Der Spatz in der Hand…

Der Spatz in der Hand… 846 605

Jeder kennt das Sprichwort „Der Spatz in der Hand ist besser, als die Taube auf dem Dach“. Sie ahnen gar nicht, wie bestürzend Recht der Volksmund damit hat! 

Wir leben seit fast vierzig Jahren in einem mehr als hundert Jahre alten Haus. Es ist sehr hübsch anzusehen mit einem Erker, mit Regenrinnen, die in Wasserspeiern enden, und einem spitzgiebeligen Dach über dem Erker, das oben im zweiten Geschoss rechts und links seitlich jeweils einen Hohlraum freilässt. Die ganze Konstruktion ist etwas verwinkelt, wie man das von alten Häusern kennt. An die genannten Hohlräume kommt man von innen aus keinem Fenster heran, definitiv nicht. Ich berichte das jetzt alles so ausführlich, weil sich nur so die Tiefe des Problems verstehen lässt.

Wir wohnten jahrzehntelang in diesem wunderbaren, heißgeliebten Haus in Ruhe und Frieden. 

Damit war es vorbei, als vor drei Jahren eine Horde Tauben beschloss, zu Hausbesetzern zu werden – vielleicht waren sie aus Berlin oder Hamburg eingewandert und hatten da etwas missverstanden, wer weiß das schon? Sie erwiesen sich jedenfalls als echte Revoluzzer, die sich vor nichts fürchteten. Über ein paar auf den Regenrinnen und Fensterbrettern angebrachte Stacheln lachten sie nur gurrend, aufgehängte Plastik-Krähen nahmen sie in unnachahmlicher Arroganz noch nicht einmal zur Kenntnis.

Nachdem wir uns drei Jahre lang Morgen für Morgen die Nerven ruinieren ließen von dem unglaublichen Lärm, den eine Handvoll Tauben veranstalten kann und uns über den enormen Dreck ärgerten, den sie hinterließen, ohne auf Bausubstanz oder Garten Rücksicht zu nehmen, beschloss ich, dieses Problem professionell lösen zu lassen. 

Man beachte schon jetzt die Ironie der Situation! Ich wollte mich harmlos und unschuldig eines Problems entledigen. Ha!!! Ich zauberte mir eins an die Backe!

Ich rief im Februar eine Firma an, die sich einer effizienten Taubenabwehr brüstete. Die Herren beguckten sich das Haus, sahen, das dem Problem mit einfachen Mitteln schlecht beizukommen war und befanden, mit einem Hubwagen könnte, ja müsste, es gehen. Den Hubwagen mussten sie sich natürlich ausleihen bei der Firma Gräber, und wenn man solch einen Lastwagen mit Hubwagen passgenau vor einem Haus platzieren will, braucht man freien Parkplatz, dazu muss man bei der Stadt beantragen, dass sie Schilder aufstellt, die für den betreffenden Tag die Stelle freihält. Der Taubenabwehrer, der mir ohnehin erst für den März einen Termin in Aussicht gestellt hatte, ließ wochenlang nichts von sich hören, meldete sich schließlich Anfang April, um mir mitzuteilen, dass er wohl wegen dem Corona-Tohuwabohu niemanden bei der Stadt erreichen können und vertröstete mich mit der Zusicherung, dass er wirklich dran sei. Schließlich eröffnete er mir am 16. April, dass er für 20. April zusagen könne und dass noch am gleichen Tag von der Stadt die Halteverbots-Schilder aufgestellt würden. 

Als ich nachmittags vor die Tür trat bemerkte ich, dass sehr schräg gegenüber Halteverbots-Schilder für den 20. April aufgestellt waren. Dieser Anfang hätte mir zu denken geben müssen. Aber hinterher ist man immer klüger. Da hätte ich noch Zeit gehabt, die ganze Sache abzublasen. Was wäre mir nicht erspart geblieben!  Stattdessen wetzte ich zurück in die Wohnung, rief den Taubenabwehrer an, um den kostbaren Termin zu retten, und er versprach, sich darum zu kümmern. Tatsächlich kamen zwei Stunden später Mitarbeiter der Stadt und stellten die Schilder um, sie hatten sich die Hausnummer falsch notiert

Shit happens, dachte ich da noch und ahnte nicht, wie recht ich damit hatte.

Am zwanzigsten April kamen die Taubenabwehrer tatsächlich mit ihrem Hubwagen an und arbeiteten zunächst stundenlang daran, Taubenkot und anderen Dreck zu entfernen, bevor sie alles, was sich verstacheln ließ, verstachelten und zu guter Letzt die beiden Hohlräume mit Netzen verschlossen.

An diesem Abend dachte ich, ich hätte erfolgreich ein Problem gelöst. Welch ein Irrtum!

Wenige Tage später stellte sich nämlich heraus, dass in einem der Hohlräume noch eine Taube, wie ich zunächst glaubte, festsaß. Bald erwies sich, es mussten drei oder womöglich sogar vier sein. 

Aber was tun? Ich wusste, dass der Taubenabwehrer wieder Wochen brauchen würde, bis er käme, während der Dachdecker, der das Haus von einem früheren Auftrag kennt, mir sagte, erstens habe er keine so hohe Leiter, zweitens sei er auf Wochen ausgebucht. 

Sehr bald begann es bei mir zu klingeln. Nachbarn, Passanten, wer auch immer, jeder glaubte, mich auf das Problem aufmerksam machen zu müssen, manche freundlich, manche weniger freundlich. Einer sah mich an, als sei ich ein Serienkiller. Als ich ihm die Situation ausführlich geschildert hatte und ihn fragte, ob er eine gute Idee hätte, ich sei für jede Lösung offen, schnauzte er mich nur an, da müsse man etwas tun und ging wieder. 

Gestern früh klingelten zunächst zwei völlig Fremde an meiner Tür, um mir zu sagen, dass es so nicht ginge, dann klingelte jemand vom Tierheim. Der wusste auch keine Lösung und hatte viel Verständnis für mich – jedenfalls nahm er mir wohl ab, dass mir die Viecher auch von Herzen leidtaten, aber ich einfach ratlos war. Sehr betroffen wirkte er persönlich nicht, gab mir aber noch den Tipp, es doch einmal bei der Feuerwehr zu versuchen. Gute Idee, dachte ich, darauf war ich noch nicht gekommen. Also rief ich bei der Feuerwehr an, wo mir beschieden wurde, sie seien dafür nicht zuständig und überhaupt würde mich ein Einsatz etwa zweitausend Euro kosten. Ich weiß nicht, wer leichten Herzens zweitausend Euro für drei Tauben ausgeben würde, ich jedenfalls nicht, schon gar nicht in der jetzigen wirtschaftlichen Situation. Der Taubenabwehrer, den ich auch anrief, war zunächst nicht zu erreichen.

 Was sollte ich tun?

Nach unserem nachmittäglichen Spaziergang wartete die Polizei vor der Tür auf uns. Tja, die Nachbarschaft ist echt tierfreundlich – ich kann nur hoffen, die kaufen auch immer das gute, teure Bio-Fleisch aus tiergerechter Haltung und die Bio-Eier. Die Polizisten waren außerordentlich freundlich und verständnisvoll. Ich bat sie ins Haus, damit sie sich selbst davon überzeugen konnten, dass wir keine Chance haben, an den Hohlraum ranzukommen.  Ich erwähnte auch meinen vergeblichen Versuch bei der Feuerwehr. Die Polizisten meinten, sie hätten vielleicht mehr Glück. Auf meinen zaghaften Einwand, ich sähe aber nicht ein, zweitausend Euro für die Tauben hinzulegen, meinte einer von beiden: „Vollkommen zurecht!“ Es tut gut, sich so verstanden zu fühlen, und schon gar von den Behörden.

Durch die Polizei ließ die Feuerwehr sich herbei zu erscheinen. Sie kamen mit zwei (!) großen Einsatzwagen mit Blaulicht. Ja, gestern war echt mal was los bei uns in der Straße. Sonst ist es ja eher langweilig. Waren die Nachbarskinder schon durch das Auftauchen der Polizei vor unserer Tür sehr aufgekratzt, waren sie restlos begeistert, als auch noch die Feuerwehr zu bestaunen war. Aus allen Fenstern guckten Leute, es gab einen mittleren Auflauf auf der Straße, das einzige, was gefehlt hat, waren die Presse und die Tagesschau.

Es endete allerdings wie das Hornberger Schießen. 

Nach einem kurzen Palaver mit den Polizisten und einem noch kürzeren Blick auf unser Haus, erklärte sich die Feuerwehr wiederum für nicht zuständig und dampfte ab. Den Polizisten, inzwischen genauso ratlos wie ich, blieb als ultima ratio, meine Personalien samt Geburtsdatum aufzunehmen und mir zu sagen, ich müsste den Taubenabwehrer dazu bewegen, das Problem zu lösen. Wie ich den dazu zwingen soll, haben sie mir allerdings nicht verraten. Bisschen Eigenverantwortung muss man ja auch beim Bürger lassen. Er rief mich gestern Abend übrigens noch zurück, wurde ungehalten, weil ich zugegebenermaßen nicht meine sonst legendäre Liebenswürdigkeit an den Tag legte, meinte, das Haus sei schuld, nicht er, solche Aufträge sollte man am besten gar nicht annehmen (tja, wie gesagt, hinterher ist man immer klüger…) und überhaupt würde ich ihm jetzt sein Abendessen versauen. Letztlich ließ er sich dazu bewegen, am folgenden Tag mal vorbeizuschauen, aber nur, wenn es nicht regnet. Es fiel wochenlang kein Tropfen – und was tut es heute? Ich brauche nichts weiter zu sagen, oder?

Wenn ich demnächst leider hinter Gitter muss, weil ich drei Tauben plus einen Taubenabwehrer gekillt habe, schicken Sie mir doch bitte gelegentlich eine Postkarte. Vielleicht eine mit einem Spatz drauf.

9 Kommentare
  • Blödemistkackviecher – da muss man ja zum Vogelrassisten werden.
    Bei mir auf dem Balkon suchen sie im Moment wohl ein Nestbaugrundstück und obendrein versuchen sie, sich an der für „anständige Vögel“ und Alexandersittiche aufgehängten Futterröhre gütlich zu tun – widerlich! Ich verstehe Dich!!!
    Man sollte für Turmfalken auf katholischen Kirchtürmen demonstrieren!
    Mit mitfühlendsten Grüßen aus Köln – Luitgard

  • Liebe Renate, das ist nicht Dein Ernst. Das ist wirklich so passiert??? Und ich dachte, nur bei uns in der Rue de Luise ist was los, wenn die Stadt die Flüchtlinge einsperrt über Ostern…
    Ich drücke die Daumen, dass bald alles gut wird. Liebe Grüße Susanne

    • Es ist in der Tat alles haargenau so passiert – und wie ich jetzt weiß, ist alles noch viel schlimmer. Der Taubenabwehrer war heute früh da, stieg mit einer hohen Leiter zum Dach hinauf und stellte fest, das jetzt für alle, denen ein mitfühlend Herz in der Brust schlägt, dass zu keinem Zeitpunkt ein Akt der Tierquälerei stattfand, wie meine netten Nachbarn so vorschnell befanden, denn hinter dem Giebel fehlen zwei Dachziegeln. Durch diese kleine Öffnung gelangen die saublöden Viecher direkt in das Dach – und auch wieder hinaus! Wenn sie hinter dem Gitter saßen, dann nur, um die blöden Passanten auszulachen, die da so ein Gedöns machen. Der Taubenabwehrer hat das ohnehin nutzlose Gitter entfernt, um fürderhin Missverständnisse zu vermeiden und ich mich wieder auf die Straße trauen kann.
      Für uns bedeutet das allerdings, dass wir, wenn wir uns des Problems entledigen wollen, nochmal ein paar tausend Euro investieren müssen, denn das Loch lässt sich nur schließen, wenn wir ein Gerüst aufstellen lassen, sodass zunächst noch ein Stück mehr des Daches abgedeckt wird, den mindestens fünf Tauben, die da augenblicklich wohnen, die Kündigung zustellen , sie höflich und unter strenger Achtung des Tierschutzes beim Umzug unterstützen, dann das Dach blitzschnell wieder decken und vorne ein neues Netz installieren lassen, damit sie nicht zur Vordertür wieder reinkommen. So viel Humor, das jetzt noch komisch zu finden, hab noch nicht mal ich…

  • Liebe Renate, Ihre Geschichte könnte so nicht erfunden werden und daher muss sie wahr sein ! Sie ist unterhaltsam, spannend geschrieben und witzig-absurd für mich als Leserin. Sie , als Betroffene , haben mein tiefes Mitgefühl, das Ihnen leider nicht weiterhilft.
    Haben Sie überlegt, diese Geschichte einer Zeitung anzubieten? Ich denke da etwa an die ZEIT oder die Süddeutsche; vielleicht findet sich unter den Lesern da ein kreativer Lösungsvorschlag?

    Vielleicht lassen sich die lieben Tiere zu einem Umzug bewegen, wenn sie täglich den Kreisler Song hören müssen vom Tauben vergiften im Dach?
    Voll Anteilnahme grüßt Sie herzlich aus Köln,
    Ingrid

    • Liebe Ingrid, ganz herzlichen Dank für Ihren mitfühlenden Kommentar! Ja, die Geschichte ist wirklich wahr, aber lieber hätte ich sie erfunden…Ich hätte gar nichts dagegen, die Geschichte auch in der Zeitung zu veröffentlichen, aber wenn man keinen Redakteur persönlich kennt, hat man, glaube ich, keine Chance auf Beachtung. Vielleicht, wenn man schreibt „Corona- Tauben unterm Dach“ oder so, wer weiß? Der Kreisler – Song ist auch keine schlechte Idee, aber wenn die Falschen in der Nachbarschaft das hören, könnte das wieder zu bedauerlichen Missverständnissen führen, das wollen wir doch lieber vermeiden.

  • Liebe Renate,
    die Taubengeschichte gab ich gestern einem Freund zu lesen; er erzählte mir, dass die Bahn das Taubenproblem mal mit Ultraschallstäben bekämpfte. Vielleicht hilft Ihnen die Bahn da weiter.

    Mit liebem Gruß
    Ingrid

  • Liebe Ingrid, danke für den Tipp, aber bei meinem Glück kommt die Bahn wahrscheinlich mit einer Lok angefahren, um das Problem zu beurteilen, und dann habe ich auch noch Ärger mit dem Straßenbauamt am Hals…
    Nein, im Ernst, ich habe das mit dem Ultraschall gegoogelt und fand es nicht sehr vielversprechend. Wir müssen wohl doch in den sauren Apfel beißen und die „große Lösung“ mit Gerüst etc. wählen. Die Ziegel müssen eh irgendwann wieder angebracht werden, so ein Loch im Dach ist auf die Dauer ja auch ohne Tauben nicht gesund fürs Haus.

  • Das ist wohl wahr! Viel Erfolg mit den Dachdeckern !

  • Liebe Renate
    Deine Taubengeschichte ist sensationell und ich kann wirklich alles nachvollziehen. Seit Jahren war die Plage auch bei uns nicht so schlimm wie in diesem Frühjahr. Ab vier Uhr früh gurrten sie vor unserem Schlafzimmer.

    Als provisorische Lösung hat ein netter Nachbar Netze vor die Brüstungen im dritten Stock gespannt. Da gab es aber eine Lücke, und das Netz wurde von den schlauen Viechern hinterwandert. Beim Verscheuchen verhedderten sie sich dann im Netz und ich durfte sie händisch von einer Leiter aus befreien. Nett fand ich, daß bei der ersten Befreiung das verhedderte Tier reichlich zappelte, während Partner oder Partnerin, ich kann das nicht unterscheiden, nur einen Meter entfernt saß und meine Aktion beäugte.

    Ein Plastikrabe hat auch bei uns nichts gebracht, die Tauben setzten sich glatt neben den Kollegen.

    Im Flüchtlingsheim gegenüber (jetzt muß man ja sagen Geflüchtete – mir konnte den Unterschied noch keiner erklären) setzten sie sich auf die Simse der Küchen, schauten rein, und wenn die Luft rein war, verschwanden sie in der Küche. In ein Zimmer sind sie trotz Vorhang auch mit dieser Methode reingekommen. Die Heimleitung hat schnell reagiert und Spikes anbringen lassen, zumindest vor den Küchen.

    Mittlerweile liegen zwei Angebote von Blechnereien für Spikes an den Brüstungen vor… das eine ist jenseits von Gut und Böse, das zweite hat Chancen. Wobei die Tierfreunde sagen, Spanndrähte wären besser. Ich hab mal ein Foto von einem Fahrkartenautomaten an der Hackerbrücke in München gemacht, da waren Spikes drauf und eine winzige Lücke, in der sich eine Taube breit machte. Nix Ultraschall.
    Herzliche Grüße, Benno