Verdammt lang her

Verdammt lang her

Verdammt lang her 846 605

Wer es bereits erlebt hat, der erkennt das Prozedere: Der Gatte und ich bekamen dieser Tage zu unserer großen Überraschung die herzlichsten Glückwünsche vom Konstanzer OB, sowie einen Blumentopf und eine Flasche Sekt. Aber nicht nur der bedachte uns, nein, auch der baden-württembergische Ministerpräsident ließ sich nicht lumpen und schickte mit seiner Gratulation eine sehr offiziell aussehende Urkunde, die sich echt zum Einrahmen eignen würde. Lustig irgendwie, trotzdem fand ich die Aufmerksamkeiten von Seiten der Obrigkeit doch sehr nett! 

Nun haben wir schon beim ursprünglichen Anlass kein großes Gedöns gemacht, also gab es auch zum fünfzigsten Hochzeitstag kein rauschendes Fest. Aber immerhin wollen wir, falls Corona uns lässt, über Silvester die ersten Flitterwochen unseres Lebens machen. Better late than never. Für eine Hochzeitsreise hatten wir zu Zeiten der Eheschließung weder das Geld noch die Zeit  – ich musste schließlich am nächsten Tag wieder zur Schule. Wir betrachteten die Trauung als reinen Verwaltungsakt ohne größere Bedeutung für unsere Beziehung – wurden wir doch quasi zur Ehe gezwungen.

Sechzehn war ich, als Ulrich und ich uns kennenlernten, mit siebzehn zog ich zu ihm in seine Studentenwohngemeinschaft. Wir lebten die nächsten anderthalb Jahre gemeinsam in einem Zimmer, was überhaupt kein Problem war, aber für eine Schülerin, von der erwartet wurde, dass sie jeden Morgen um acht in der Schule ist, war das Zusammenleben mit Studenten nicht immer ganz einfach, um es milde auszudrücken. Nicht, dass ich den Erwartungen an meine Anwesenheit im Klassenzimmer immer gerecht geworden wäre – ich habe mich später als Mutter von Schulkindern nie getraut zu erzählen, wie oft ich die Schule geschwänzt habe – aber im Großen und Ganzen wollte ich es doch nicht übertreiben mit der Vernachlässigung meiner schulischen Pflichten. Das hat zu manch einem, weit nach mitternächtlichen, Wutausbruch meinerseits geführt, weil Studenten, man muss es leider sagen, die Neigung haben, abends und nachts ziemlich viel Krach zu machen. Sie müssen schließlich nicht morgens um halb sieben aus dem Bett. Und ich musste und wollte schlafen, schlafen, schlafen – erst, als ein paar Jahre später meine Kinder kamen, hat das Thema Schlaf, beziehungsweise der Mangel daran, fast noch mehr Raum eingenommen als damals in der WG. Der Krach, von dem ich sprach, ging übrigens beileibe nicht ausschließlich von lauter Musik aus. Nein, bei uns wurde viel, heftig und leidenschaftlich diskutiert. Wir waren alle furchtbar links – ich darf bei der Gelegenheit an das bekannte Zitat erinnern „Wer mit achtzehn kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer es mit vierzig immer noch ist, keinen Verstand“. 

Nun, ich hatte Herz, und Verstand schon bevor ich vierzig war. Doch mit achtzehn überwog noch das Herz, also träumte ich von der Weltrevolution und dem Sieg des Proletariats. Da ich trotzdem nach anderthalb Jahren die Nase voll hatte von ungeputzten Böden, ungespültem Geschirr und dreckigem Bad – Sozialismus musste doch auch ein bisschen ordentlich und halbwegs hygienisch zu machen sein –  nein, es ging nicht, – also machten wir uns auf die Suche nach einer Zweizimmerwohnung. Fündig wurden wir beim wackeren (und verheirateten!) Bäckermeister Gumbel, der bereit war, uns seine selbstausgebaute (ich denke, jeder weiß, was das im kalten Winter und im heißen Sommer bedeutete) Zweizimmerwohnung direkt unter dem Dach seines Hauses, indem sich neben seiner Wohnung auch die Backstube befand, für wenig Geld zu vermieten – ALLERDINGS, allerdings unter der großen Voraussetzung, dass wir heiraten. Denn, so führte er aus, wenn wir es nicht täten, würde er wegen Bigamie angezeigt. Es gelang uns, uns das Lachen zu verbeißen und stattdessen hoch und heilig zu versichern, dass wir schnellstmöglich heiraten würden. Und so kam es, dass ich, inzwischen in der Oberprima und ein halbes Jahr vor dem Abitur, eines Tages zu meinem Klassenlehrer ging und ihm eröffnete, dass ich am nächsten Tag leider nicht würde zur Schule kommen können, da ich auf dem Standesamt erwartet würde. 

Ganz so cool war ich am nächsten Tag dann doch nicht, ich erinnere mich lebhaft daran, beim Nachmittagskaffee nach der Trauung so zittrig gewesen zu sein, dass mein funkelnagelneuer Schwager mir den Kaffeelöffel aus der Hand nehmen musste, aber außer den allernächsten Angehörigen (und die noch nicht einmal vollständig) war niemand bei dem anwesend, was die inzwischen aus Amerika herübergeschwappten „Hochzeitsplaner“ als „den schönsten Tag im Leben“ anzupreisen pflegen. Also, der schönste Tag unseres Lebens war es definitiv nicht und ich denke, wir waren abends froh und dankbar, dass er glimpflich vorübergegangen und vorbei war.

Daran musste ich denken, als wir, an besagtem fünfzigsten Hochzeitstag, abends einträchtig nebeneinander die Zähne putzten. Die Krone aller Ehemänner hatte zugestimmt, dass wir zur Feier des Tages (!!!) nach Zürich fuhren, um in der Oper meinen derzeitigen Lieblingssänger, den Bariton Ludovic Tézier, in „Simon Boccanegra“ von Verdi zu hören. Ich liebe Opern, für Ulrich sind sie kaum erträglich, man kann also unschwer die Größe seines Opfers erkennen. Beim Zähneputzen wie gesagt musste ich plötzlich lachen und sagte zu ihm: „Jetzt geht es dir wahrscheinlich genauso wie vor fünfzig Jahren und du bist froh, dass du es mit Anstand hinter dich gebracht hast und der Tag endlich rum ist.“ Doch das bestritt er entschieden. Wenn man ihn erst mal hineingeschleppt hat in die Oper, erkennt er ihre Schönheit durchaus an – also zumindest manches daran. Sagt er…

Ich bin überzeugt davon, dass die Unbeschwertheit und Schnoddrigkeit, mit der wir die Ehe eingegangen sind, sehr viel besser für ihre Haltbarkeit war als die überbordenden Erwartungen, die viele junge Leute heute an die Hochzeit haben. Aber es war natürlich auch verdammt viel Glück dabei, sowie Ulrichs niemals versagender Sinn für Humor. Keine Erwartungen und viel Sinn für Humor – seit Jahrzehnten meine Antwort an alle, die mich fragen, wie man es schafft, eine langwährende Beziehung hinzukriegen. Ich kenne kein besseres Rezept.

Bild von MabelAmber auf Pixabay
2 Kommentare
  • Liebe Renate,
    so ein berührender Text. Perfekt fürs Jahresende. Seitdem
    ich euch kenne, habe ich mir ein Relationship Goal gesetzt, dass ich und
    Yan in ein paar Jahre sind wie ihr. Dass wir zusammen bleiben und dass
    wir mit Humor die schwierige Zeiten überstehen.
    Alles Liebe,
    Irini

  • Ja,ja, ich kann mich auch noch gut an die Berge ungewaschenen Geschirrs erinnern. aber immerhin waren alle Fragen der taktischen Herangehensweise an die Weltrevolution geklärt, wenigstens das. zum großen Glück ist dem armen Bäcker Gumpel die Bigamie erspart geblieben, sonst hätte er auch mit Dir in die Oper gemusst. nichts bleibt ungesühnt…