Junge Leute wissen das gar nicht mehr, denn auf neudeutsch heißt es heutzutage „Ich gehe shoppen“, aber bei mir heißt es immer noch „Ich gehe in die Stadt“. So hieß das schon bei meiner Mutter, und ich sehe überhaupt nicht ein, weshalb ich das ändern sollte. Ist eh genug denglisch im Umlauf. Selbst manche Läden im provinziellen Konstanz haben sich darauf kapriziert, ihre Schaufenster mit englischen oder denglischen Sätzen zu schmücken. Daher weiß ich auch, dass shoppen glücklich macht. Es stand ganz groß an einem Laden in der Wessenbergstraße: „Shoppen macht glücklich“. Ich bin überzeugt davon, dass das stimmt. Selbstverständlich nicht für jeden. Männer erleben beim Shoppen angeblich ähnlich viel Stress wie Manuel Neuer, wenn er im DFB-Pokal-Turnier gegen Borussia-Mönchengladbach im Tor steht, oder wie Lewis Hamilton, wenn er im letzten Rennen der Saison zwei Runden hinter Max Verstappen liegt. Aber natürlich macht Shoppen die Ladenbesitzer glücklich! Je mehr wir shoppen, desto glücklicher werden die!
Wie dem auch sei, ich gehe in die Stadt. Ganz oft macht mich schon das ziemlich glücklich, denn mein Weg in die Stadt ist außerordentlich schön. Von zu Hause aus bin ich in drei Gehminuten am See – der See macht immer glücklich, ich liebe den See zu jeder Jahreszeit. Heute war das Wasser eisblau unter einem zartblauen Himmel, den ein paar weiße Schleierwölkchen zierten. Den See zierten viele weiße Schwäne, die meistens majestätisch und würdevoll in Gruppen schwimmen, es sei denn sie machen alle auf einmal, wie auf Kommando, Kopfstand, da ist die Würde perdu, das sieht dann eher lustig aus. Jetzt, in der kalten Jahreszeit, sieht man auch die entzückenden Zwergtaucher im See, die niedlich wie Küken sind, und die ich so gern dabei beobachte, wie sie mit unglaublicher Geschwindigkeit abtauchen, um unversehens etliche Meter entfernt ruckzuck wieder aufzutauchen. Heute waren auch einige der vornehmen Mandarin-Enten unterwegs, die uns ebenfalls nur im Winter besuchen und der die gemeinen Stockenten längst nicht das See-Wasser reichen können.
Aber gehen wir weiter, ich war ja auf dem Weg in die Stadt. Um in die Innenstadt zu kommen, muss ich die Rheinbrücke überqueren, was mir auch immer Freude macht, es sei denn, es weht ein ekelhafter Gegenwind, womöglich verbunden mit kaltem Regen, oder Radfahrer jeden Alters (m/w/d) sausen rücksichtslos auf dem Fußgängerweg, obwohl sie einen eigenen Radweg zur Verfügung haben. War heute nicht der Fall, im Gegenteil, es war das eher seltene Schauspiel zu bestaunen, dass ein Radfahrer abstieg und sein Rad schob. Ich war sehr ergriffen. Leider war ich zu weit hinter ihm, als dass ich meine Dankbarkeit für sein vorbildliches Verhalten in warmen Worten hätte zum Ausdruck bringen können und hinter ihm herschreien wollte ich auch nicht. Ich fürchte, die Wirkung wäre verpufft.
Nach der Rheinbrücke kommt man am ehrwürdigen Insel-Hotel vorbei, früher ein Benediktiner-Kloster, und immer eine Augenweide. Wenn Sie aus der Stadt zurückkommen, können Sie im Herbst und Winter in der gemütlichen Hotelbar wunderbar Tee trinken, im Sommer empfiehlt sich noch mehr die Insel-Terrasse direkt über dem Wasser – der schönste Ort in Konstanz! Aber jetzt gehen wir erst einmal weiter stadtwärts: Wenn man den Bahnübergang am Insel-Hotel überquert hat, befindet man sich schon in der malerischen Altstadt. Von dort aus sind es nur noch ein paar Schritte bis zum Münsterplatz und wenn der Sie nicht glücklich macht, dann weiß ich auch nicht… Okay, unser Münster ist nicht der Kölner Dom, aber zu Herzen geht es doch, selbst einem Heidenkind wie mir. Und der Münsterplatz ist sowieso schöner als die Dom-Platte.
Wenn Sie den Münsterplatz erreicht haben, befinden Sie sich quasi schon an einem Ende des Shopping-Paradieses Konstanz, das andere Ende wäre dann das Lago Shopping-Center. Für die Strecke zwischen beiden brauchen Sie zehn Minuten, wenn Sie es eilig haben, und Sie können Ihre spöttisch hochgezogene Braue ruhig wieder runterlassen – wir haben nie behauptet, wir wären Paris. Man kann den Zeitraum übrigens locker auf anderthalb, zwei Stunden hochschaukeln, wenn man schlendert und die Seitengassen miteinbezieht. Zwei Stunden langen ja auch für einen Stadtbummel, oder?
Mein eigentliches Shopping spielt sich dann folgendermaßen ab: Ich schaue in die Schaufenster der Geschäfte, die ich für gewöhnlich mit meiner Kundschaft beehre, und wenn ich etwas sehe, das mir gefällt, betrete ich den Laden, gucke mich gründlich um, und wenn ich ganz tollkühn drauf bin, probiere ich sogar etwas an. So weit kommt es aber selten. Meist erregen zwei, drei Stücke meine Aufmerksamkeit, in denen ich dann das Etikett „Made in China“ entdecke, weshalb ich sie sofort zurück auf die Kleiderstange hänge. Da lasse ich nicht mit mir handeln – die chinesische Politik hat es sich mit mir verdorben. Sollen sie mal sehen, wie sie ohne mich zurechtkommen.
Manchmal ist aber doch etwas dabei, über das ich nochmal näher nachdenken will. Dann verlasse ich das Geschäft. Meistens vergesse ich das Gesehene sofort wieder. Wenn mir doch ein Teil im Gedächtnis kleben bleibt und behauptet, es wolle ganz dringend zu mir und nur zu mir, gehe ich nach ein paar Tagen halt nochmal in die Stadt – macht mir ja schließlich Spaß und Bewegung soll auch sehr gesund sein.
Heute war ich, neben anderen Besorgungen, die ich tatsächlich in der Stadt zu erledigen hatte, aus solch einem Grund in einen bestimmten Laden gegangen. Ich hatte länger mit mir gerungen, denn eigentlich brauche ich nicht noch einen schwarzen Rock – die fünf oder sechs, die ich schon habe, sind noch sehr gut in Form, aber was soll’s, dachte ich, das bisschen schlechtes Gewissen nach einem unnötigen Kauf halte ich schon aus. Der Rock war es wert. Aber was ich für ein Glück hatte, das können Sie sich gar nicht vorstellen! Er war weg! Jemand (m/w/d/Seejungfrau) hatte ihn mir weggeschnappt!
Ja, dachte ich hochzufrieden auf dem Heimweg: Shoppen macht glücklich. Wieder dem Kaufteufel von der Schippe gesprungen! Ein wunderbar tugendhaftes Gefühl – sehr erhebend!
Falls Sie mich jetzt fragen, wie ich eigentlich zu einem Kleiderschrank komme, aus dem man eine Second-Hand-Boutique machen könnte: Ich habe keine Ahnung! Ist ganz von allein gegangen…
Da sind wir ja schon zwei, die keine Ware „Made in China“ kaufen wollen. Ich hoffe auf exorbitante Vermehrung!