Freiheit und Abenteuer

Freiheit und Abenteuer

Freiheit und Abenteuer 846 605

Ohne dass ich mir im Klaren darüber wäre, ob die Maßnahmen, die Bund und Länder beschlossen haben, nun tatsächlich zielführend sind, wenn sogar der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung daran zweifelt, ob der Lockdown auf die Dauer was bringt, will ich diesen verlängerten Moment der Bewegungseinschränkungen dazu nutzen, den Leserinnen und Lesern wenigstens in Gedanken den Geschmack und Duft von Freiheit und Abenteuer nahezubringen. Ich glaube allerdings, dass die wenigsten mit den beiden Heldinnen dieser Geschichte würden tauschen wollen – ich am allerwenigsten. Dann noch lieber vier Wochen strenge Quarantäne… 

 

Aber lesen Sie selbst:

Im Oktober des Jahres 1720 wird tüchtig gefeiert auf dem Schiff mit den schwarzen Segeln, unter der berüchtigten Totenkopf-Flagge. Man befindet sich in den Gewässern vor Jamaika und die Piraten unter dem Kommando des gefürchteten John Rackham, genannt Calico-Jack, haben hervorragende Beute gemacht, was nun mit Unmengen Rum begossen wird. Während sich die Mannschaft mitsamt dem Kapitän eine gute Zeit gönnt, taucht am Horizont ein anderes Schiff auf – eines, das einen sehr militärischen Eindruck macht, was selbst den ziemlich betrunkenen Piraten auffällt. Doch an ein Entkommen ist nicht mehr zu denken, das Militärschiff nähert sich mit großer Geschwindigkeit und als es in Rufweite ist, fordert der Befehlshaber die Piraten auf, sich zu ergeben. Dieser Aufforderungen kommen sie auch nach ein paar Kanonenschüssen nicht nach, aber wirklich zur Wehr setzen können sie sich auch nicht. Die Soldaten stürmen das Schiff und sind überrascht, dass es nur zwei Männer an Bord zu geben scheint, die wirklich mit Entschlossenheit kämpfen, obwohl doch Rackhams Mannschaft den Ruf hat, aus lauter gnadenlosen Kämpfern zu bestehen. Nun allerdings haben sie es mit einem ziemlich harmlosen Haufen zu tun, der, benebelt vom Rum, nicht viel Widerstand bietet. Nur zwei hören nicht auf, die Soldaten mit verbissenem Mut anzugreifen. Diese beiden scheinen wild entschlossen, eher zu sterben als sich zu ergeben. Überwältigt werden sie trotzdem – und da stellt sich etwas Unglaubliches heraus: diese beiden rücksichtslosen und furchtlosen Haudegen sind zwei junge Frauen.

Zwei Piratinnen – davon gab es wahrhaftig nicht viele!    

Diese beiden seltenen Exemplare haben es zu so großem Ruhm gebracht, dass ihre Namen bis heute überliefert sind, es sind Anne Bonny und Mary Reid. Waffenschwestern seit sie sich das erste Mal begegnet sind, haben sie gemeinsam Stürmen getrotzt, Schiffe überfallen, geraubt und gemordet und das wilde, ungebändigte, gefährliche Leben als Gesetzlose genossen, ohne etwas anderes zu wollen als Freiheit und Abenteuer. Die finsteren Spelunken in den Häfen, wo sie mit ihresgleichen fochten, fluchten, lachten und tranken, waren ihnen lieber als eine bürgerliche Existenz. Anne Bonny und Mary Reid liebten beide das Piratenleben, doch ihre Wege dahin waren ganz unterschiedlich.

Mary Reid war die uneheliche Tochter der Frau eines Matrosen, der nicht mehr nach Hause zurückkehrte. Von ihm hatte Marys Mutter einen Sohn, der jedoch als Säugling verstarb. Die beiden schlugen sich in der Nähe von London mehr schlecht als recht durch, Geld war immer knapp und in ihrer Notlage entschloss sich Marys Mutter zu einer List. Sie steckte Mary in Knabenkleider, klopfte mit ihm an der Tür ihrer Schwiegermutter an, gab Mary für den Sohn ihres Ehemannes aus und bat um finanzielle Unterstützung. Die wurde auch gewährt, aber nur bis Mary etwa dreizehn Jahre alt war, von da an musste sie sich auf eigenen Beinen durchschlagen. Mary, durch die List ihrer Mutter dazu gezwungen, in Männerkleidern aufzuwachsen, blieb dabei. Sie war kräftig, sie besaß viel Energie, man nahm ihr den jungen Mann ab. Sie trat zunächst in den Dienst der Marine, doch das Leben mit gnadenloser Disziplin gefiel ihr nicht. Sie setzte sich bei erster Gelegenheit wieder ab und schloss sich in Flandern der Kavallerie an.

Das ging ganz gut, bis etwas Unerwartetes dazwischenkam!

Damit hatte die junge Mary vermutlich nicht gerechnet: Sie verliebte sich in einen ihrer Kameraden. Sie wollte ihn zum Mann haben, koste es, was es wolle. Doch dazu musste sie ihr Geheimnis lüften. Mary fackelte nicht lange und schritt zur Tat. Sie richtete es so ein, dass der junge Soldat sie beim Ausziehen „überraschte“. Wir können wohl annehmen, dass es für ihn eine angenehme Überraschung war, jedenfalls nahmen die Dinge jetzt ganz in Marys Sinne ihren Lauf. Das Militär drückte ein Auge zu, die beiden nahmen ihren Abschied, man feierte, im Rahmen der Möglichkeiten, so ist anzunehmen, eine glanzvolle Hochzeit. Im Anschluss daran eröffneten sie ein bescheidenes Gasthaus in der Nähe der niederländischen Stadt Breda – happy end also und sie lebten fröhlich bis zum Ende ihres Lebens? Nein, so kam es leider nicht, die Idylle währte nur kurz. Der junge Mann starb ganz plötzlich und Mary stand wieder alleine da.

Also zurück in die Männerkleider!

Sie hatte ja nichts anderes gelernt. Das Leben als Matrose war schließlich doch nicht so schlecht gewesen, doch zurück zur Marine wollte sie nicht, also heuerte sie auf einem Handelsschiff an und segelte nach Westindien. Wir können es nur vermuten, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass sie, wie alle anderen an Bord davon träumte, dort wunderbare Abenteuer zu erleben und dabei auch noch sagenhaft reich zu werden. Das Abenteuer kam auch, allerdings in Form von Piraten, die das Schiff kaperten und sie als Gefangene mitnahmen.

Die Piraten hatten keine Ahnung, was für eine Beute sie da gemacht hatten und Mary hütete sich, sie aufzuklären. Piraten waren abergläubisch und Frauen an Bord waren nicht gern gesehen, sie brachten Unglück, so hieß es. Hätte Mary ihr Geheimnis preisgegeben, so wäre sie womöglich mir nichts, dir nichts auf einer unbewohnten Insel ausgesetzt worden, so fürchtete sie.

Für Mary tat sich auf dem Piratenschiff eine neue Welt auf, eine Welt, die ihr gefiel. Sie erlebte eine nie gekannte Freiheit und die fürchterlichen Kerle, die auf allen Handelsschiffen Angst und Schrecken verbreiteten, waren untereinander ganz umgänglich. Außerdem kam sie bald dahinter, dass sie keineswegs die einzige Frau an Bord war.

Die zweite Frau in der Mannschaft

Die zweite Frau in John Rackhams Mannschaft war Anne Bonny, die unter ganz anderen Umständen groß geworden war als Mary Reid. Anne Bonny war das Resultat einer Beziehung zwischen einem angesehenen, verheirateten, irischen Juristen und einer Dienstmagd. Der Skandal war gewaltig, vor allen Dingen, weil Annes Vater nicht das tat, was man von einem Mann seiner Position und Gesellschaftsschicht in der damaligen Zeit erwartete, nämlich dass er die arme Magd und ihr Kind verstieß, damit sie sehen konnten, wo sie blieben. Nein, er hielt nicht der Ehefrau, aber der Magd die Treue, und um überhaupt eine Zukunft zu haben, beschloss man, sein Glück in der Neuen Welt zu suchen. Das Paar wanderte mit der kleinen Anne nach Süd-Carolina aus. Dort wurde Annes Vater ein Tabakpflanzer, der es dank seines geschäftlichen Geschicks (und dank seiner Sklaven) zu beträchtlichem Reichtum brachte. Man konnte sich das luxuriöse Leben wohlhabender Großgrundbesitzer leisten – happy end also und sie lebten fröhlich bis zum Ende ihres Lebens? Nein, so kam es auch in diesem Fall nicht. Annes Mutter starb und es gab niemanden mehr, der sich um Annes Erziehung gekümmert hätte.

Man weiß nicht, ob Anne sich unter mütterlicher Fürsorge anders entwickelt hätte – ohne wuchs sie jedenfalls zu einem nicht zu bändigenden Wildfang heran. Sie war, man kann es nicht anders sagen, ein harter Brocken und der Schrecken aller Bediensteten. Gesegnet mit dem Temperament eines Vulkans, war sie aufbrausend bis zur Gewalttätigkeit. Sie war nicht bereit, sich von irgendwem etwas vorschreiben zu lassen, schon gar nicht von ihrem Vater. Als Teenager verliebte sie sich in einen gewissen James Bonny, den sie gegen den völlig nutzlosen Widerstand ihres Vaters heiratete und mit dem sie zu den Bahamas aufbrach.

Auch diese Idylle währte nicht lange 

Anne begann recht bald, sich nach Strich und Faden mit dem armen James zu langweilen. Sie träumte von neuen Abenteuern, die in greifbare Nähe rückten, als sie die Bekanntschaft eines Piraten namens John Rackham machte. Da hatten sich die beiden richtigen gefunden, so waren sie alsbald ein Herz und eine Seele. Das war für Anne nicht ganz ungefährlich, denn schließlich war sie noch mit James Bonny verheiratet und für eine solche Untreue riskierte eine Frau von Gesetz wegen eine grausame Strafe. Besser, man machte sich aus dem Staub! Also schlüpfte auch Anne in Männerkleider und ging mit Rackham an Bord seines Schiffes. Aus dem reichen, verwöhnten und verzogenen Pflanzertöchterlein wurde eine Piratin, die es an Mut und Skrupellosigkeit mit jedem ihrer männlichen Kollegen aufnahm. Ein Kind, das sie von Rackham bekam, ließ sie auf Kuba zurück, es hätte sie nur behindert. Unter der schwarzen Totenkopf-Flagge lebte sie genau das Leben, das ihr immer vorgeschwebt hatte – und sie lehrte die anderen Piraten an Bord, sie zu respektieren. Sie konnte kämpfen, besser als mancher Mann, sie war wild, mutig, skrupellos und wenn es darum ging, einen Gegner zu töten, dann machte sie kurzen Prozess.

Doch sie machten auch Gefangene. Und so kam es, dass Rackham und seine Crew schließlich einen jungen Matrosen an Bord hatten, der mit einem überaus attraktiven Gesicht ausgestattet war. Anne fand ausgesprochen großen Gefallen an diesem hübschen jungen Engländer. Es band sie schließlich kein ehelicher Treueschwur an Rackham, warum sollte sie also nicht einmal ihr Glück bei einem anderen versuchen? Dieser Versuch, Sie ahnen es, ging gründlich schief, denn als Anne bei günstiger Gelegenheit ihre Reize spielen ließ, offenbarte Mary ihr, weshalb sie davon ganz und gar nicht beeindruckt war. Anne nahm es mit Humor, und aus dem angestrebten Liebesabenteuer wurde eine enge Freundschaft.

Dass da etwas lief zwischen seiner Anne und dem jungen Engländer, blieb Rackham nicht lange verborgen und wütend vor Eifersucht drohte er, den vermeintlichen Nebenbuhler einen Kopf kürzer zu machen. Anne und Mary klärten ihn auf und Calico-Jack erklärte sich bereit, die zweite Frau an Bord zu behalten, sie hatte ihre Nützlichkeit als Crew-Mitglied ja auch schon unter Beweis gestellt. Für alle anderen blieb Mary ein Mann und das hätte so weitergehen können, wenn ihr nicht wieder die Liebe dazwischengekommen wäre.

Das Objekt der Begierde war ein Zimmermann

Jedes Segelschiff der damaligen Zeit brauchte nicht nur Seeleute, sondern auch Handwerker.  Als jener Zimmermann zur Mannschaft stieß, war es mal wieder um Mary geschehen. Um ihn zu kriegen, schenkte sie schließlich allen reinen Wein ein. Die Mannschaft, die sich schon an eine Frau an Bord gewöhnt hatte, nahm es mit Würde und Anstand zur Kenntnis. Der Kerl, der so gut focht und schoss, war also eine Frau, auch gut, was soll‘s!

Bis zu jenem Herbst 1720 machten Anne und Mary gemeinsam mit Rackham und seinen Männern die Meere unsicher – und die zwei Piraten mit den Engelsgesichtern waren in allen Häfen bekannt. Und sie waren gefürchtet, denn sie kämpften ebenso rücksichtslos und skrupellos wie ihre männlichen Kollegen. Für diese beiden bot die Welt der Gesetzlosen eine Freiheit, wie sie für Frauen der damaligen Zeit undenkbar war. Denn die Piraten besaßen untereinander einen Ehrenkodex, der einige recht moderne Züge aufwies. Die Gemeinschaft war das Wesentliche, nichts ging darüber, auch der Kapitän war nicht allmächtig und jede Beute wurde gerecht geteilt. Auch Anne und Mary besaßen dieselben Rechte wie jedes andere Mitglied der Mannschaft, das war mehr als die Gesellschaft ihrer Zeit den „anständigen“ Frauen zugestand. 

Dieses freie, selbstbestimmte Leben fand sein Ende, als 1720 der Gouverneur von Jamaika beschloss, dass es nun reichte mit den vielen Verlusten durch die zahllosen Überfälle auf die Handelsschiffe. Er wollte der Piraterie ein für allemal das Handwerk legen und so kam es schließlich im Oktober zu jener eingangs erzählten Szene, bei der das Schiff Rackhams in die Hände der Soldaten fiel, nachdem auch die beiden Einzigen, die erbittert gekämpft hatten, durch die schiere Überzahl überwältigt worden waren. 

Gefängnis und Prozess

Alle wurden ins Gefängnis geworfen und es wurde ihnen der Prozess gemacht, zunächst den Männern, die erwartungsgemäß alle zum Tod durch den Strang verurteilt wurden. Bevor er zur Richtstätte geführt wurde, bat Rackham darum, seine Anne noch einmal sehen zu dürfen, was ihm gewährt wurde. Er dürfte nicht viel Trost aus dieser Begegnung gewonnen haben, denn alles, was Anne ihm ins Gesicht schleuderte, war: „Hättest du gekämpft wie ein Mann, müsstest du jetzt nicht hängen wie ein Hund!“

Schließlich standen auch Anne und Mary vor ihren Richtern und es erwartete sie ebenfalls das Todesurteil. Bevor es jedoch vollstreckt wurde, baten beide Frauen überraschend um Aufschub – sie seien schwanger. Eine Hebamme bestätigte das, also ließ man sie am Leben.

Mary starb jedoch noch vor der Geburt ihres Kindes, vermutlich am Gelbfieber.

Was Anne betrifft, so wurde sie von ihrem reichen Vater, der zur Rettung seiner Tochter herbeigeeilt war, aus dem Gefängnis geholt. Ob sie tatsächlich jemals jenes rettende Kind gebar, entzieht sich meiner Kenntnis.

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