Ich freue mich sehr, dass Anne aus Köln uns einen Gastbeitrag zur Verfügung gestellt hat, indem sie schildert, was sie, so nehme ich das doch mal schwer an, an Heiligabend selbst erlebt hat, als sie im Dom zu Köln Weihnachten feierte – wie könnte sie das sonst so authentisch beschreiben?
Weihnachtsgeschichte 2020
Und es begab sich in jener Zeit, dass Jesus, das jüngste Mitglied der Dreifaltigkeit, beschloss, mal wieder seinen Geburtstag auf der Erde zu feiern.
Das hatte er schon häufig gemacht und sich dazu immer eine schöne Kathedrale ausgesucht. Eigentlich wollte er 2020 in seine Lieblingsstadt Paris, um in Notre Dame zu feiern. Aber die war eine Baustelle. Also wählte er den Kölner Dom. Der ist zwar immer im Bau befindlich und das wird sich, so sagt die Legende, auch niemals ändern.
Als jüngstes Mitglied der Dreifaltigkeit musste er sich die Genehmigung des über allem schwebenden Heiligen Geist einholen. Nach nervösem Flügelgeflatter und Rücksprache mit Gott Vater bekam Jesus den Passierschein für die Heilige Nacht in Köln.
Seine Mutter lächelte ihm aufmunternd zu und machte ihn mit der derzeitigen Mode auf der Erde bekannt.
Am 24. Dezember machte sich Jesus als Lichtpunkt auf den Weg. Auf der Domplatte, kurz vor dem Haupteingang, materialisierte er sich und wollte an dem Domschweizer vorbei die Kirche betreten. „Abstand junger Mann, wo ist Ihr Mund- und Nasenschutz und Ihre Eintrittskarte?“ „Habe ich nicht“ antwortete Jesus. „Tut mir leid, junger Mann, dann müssen Sie draußen bleiben!“ Dabei musterte er kritisch das Outfit der langhaarigen Person.
Da verwandelte Jesus sich wieder in einen Lichtpunkt, und bevor der Schweizer auch nur einen Lidschlag getan hatte, war er im Dom verschwunden und schwebte als heller Punkt über dem Richter-Fenster.
Die Kirche war spärlich besetzt, ganz anders als bei seinen früheren Geburtstagsfeiern. Außerdem hatten alle Menschen die untere Hälfte ihrer Gesichter mit Masken bedeckt.
Leichte Zweifel kamen ihm. Hatte er das Datum verwechselt und es war schon Karneval? Dafür waren die Menschen jedoch zu normal und elegant gekleidet. Verwirrt huschte er wieder über die bunten Rechtecke des Fensters.
Als dann „Gloria in excelsis Deo“ gesungen wurde, einer seiner Lieblingssongs, wusste er, dass er richtig war. Schnell nahm er wieder seine menschliche Gestalt an und sang lauthals mit.
Die Maskenträger warfen ihm böse Blicke zu, manche fuhren sich mit der Hand über ihre Maske. Er ließ sich nicht beirren. Plötzlich stand der Domschweizer hinter ihm, fasste ihn energisch am Ellenbogen und geleitete ihn Richtung Ausgang. Vor der Tür schubste der Schweizer ihn auf Abstand.
„Junger Mann, ich habe Ihnen doch verboten den Dom zu betreten, was fällt Ihnen ein und wie sehen Sie überhaupt aus? Mit Ihren zerrissenen Jeans und der komischen Mütze auf Ihrer langen Mähne?“
„Ich habe heute Geburtstag“, sagte Jesus empört. „Jetzt kommen Sie mal wieder runter. Wenn jeder, der am 24.12. geboren wurde, meint, er könnte in Corona-Zeiten in den Dom spazieren ohne Anmeldung und Mund-Nasenschutz, dann kämen ja üble Zeiten auf uns zu. Wir feiern heute Christi Geburt und nicht einfach den Geburtstag eines X-Beliebigen. So, und jetzt gehen Sie mal schön nach Hause. Jeder für sich und Gott für uns alle!“
Vor den Augen des verblüfften Schweizers verwandelte sich Jesus wieder in einem Lichtpunkt und verschwand im All. Irgendwie kam es dem Schweizer vor, als hätte er noch den Satz gehört: „Das sage ich meinem Vater…“
Anne Vogel