Ja, die Hitze war echt ein Graus! Das kalte Frühjahr war auch ein Graus! Der dauernde Wind ist ebenfalls ein Graus! Schön, dass wir uns darüber einig sind, dass die Obrigkeit dagegen endlich mal was unternehmen muss – aber natürlich kein Heizungsgesetz, was bilden die sich ein, überhaupt nichts, was uns Geld kostet und schon gar nichts, was an unserem Lebensstil rüttelt. Die Regierung soll einfach alles richtig machen, mehr verlangen wir ja gar nicht…
Ach, der Mensch mit seinem Widerspruch ist was wunderbares! Ich habe vor lauter Angst, vor dem Fenster könnten sie in der Sonnenglut verdursten, meine Blumen leider ersäuft. Manchmal will man das Gute und schafft das Gegenteil. Gilt für alle (inklusive des Gegenteils, versteht sich!). Nun könnten Sie natürlich einwenden, man hätte auch mal ein bisschen besser nachdenken können, und damit hätten Sie vollkommen Recht. Aber man kriegt es halt nicht immer hin. Einer, der fantastisch nachdenken konnte und sehr, sehr oft Recht hatte, ist – oder war, besser gesagt, Moritz Julius Bonn, der von 1873 bis 1965 lebte.
Bevor ich mich in die Sommerferien verabschiede, möchte ich gern auf sein Buch „So macht man Geschichte? Bilanz eines Lebens“ hinweisen, das kürzlich in der Europäischen Verlagsanstalt neu aufgelegt wurde. Obwohl ich mich ganz besonders für die Geschichte des deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik interessiere, war mir sein Name bislang leider überhaupt kein Begriff.
Professor Moritz Julius Bonn war ein bedeutender und hochangesehener National-Ökonom, der vor dem ersten Weltkrieg als Kritiker der wilhelminischen Kolonialpolitik hervortrat, zur deutschen Delegation bei den Friedensverhandlungen in Versailles gehörte und in der Weimarer Republik für zahlreiche Reichsregierungen als Berater fungierte. Außerdem veröffentlichte er regelmäßig Beiträge in den großen liberalen Tageszeitungen. Als Pionier der Totalitarismusforschung war hellsichtig genug, schon 1925 die „Krisis der europäischen Demokratie“ zu diagnostizieren. Leider fanden seine Warnungen kein Gehör (nebenbei, Warnungen gibt es auch heute wieder genug, und genauso zurecht wie damals. Lasst uns hoffen, dass Geschichte sich nicht zwangsläufig wiederholt! Aber man darf pessimistisch sein. Zitat Moritz Julius Bonn: „Das deutsche Volk hat kein politisches Gedächtnis. Es lässt sich immer leicht von betriebsamen Souffleuren dazu verleiten, das zu vergessen, was diesen unbequem ist.“) Als Demokrat, entschiedener Gegner der Nazis und Jude war er gezwungen, sich 1933 in Sicherheit zu bringen. Es gelang ihm, in die USA zu emigrieren und er kehrte nur noch besuchshalber nach Deutschland zurück.
Klug und hellsichtig, das war er – und er konnte schreiben! Lassen Sie sich von dem trockenen Attribut „National-Ökonom“ nicht schrecken. Die Bilanz seines Lebens ist wunderbar geschrieben, eben nicht nur kenntnisreich und voller Wissen, sondern auch charmant, unterhaltsam, mit Humor und gänzlich ohne Eitelkeit: „Der Zufall hat es gewollt, dass ich in drei Weltteilen den Ereignissen nahe genug gestanden habe, um beobachten zu können, wie Geschichte gemacht wird. Ein oder das andere Mal habe ich sogar in entscheidenden Momenten tätig eingegriffen, – nicht gerade mit überwältigendem Erfolg. Aus diesen Erfahrungen habe ich viel gelernt. Wenn ich sie auf den folgenden Blättern aufzeichne, so entspringt das weniger einem nicht zu unterdrückenden Mitteilungsbedürfnis als einem von außen angeregten Pflichtgefühl. Vielleicht können auch die, die an verantwortlicher Stelle Geschichte zu machen haben, etwas daraus lernen. Ich bin nicht allzu optimistisch. Ich fürchte, die Definition „Geschichte ist das, woraus man nichts lernt“ wird wieder und wieder als richtig befunden werden.“
Man kann viel lernen aus diesem Buch – und das gereicht uns zum Nutzen, selbst wenn wir nicht an verantwortlicher Stelle die Geschichte mitgestalten (können / dürfen / wollen). Und es liest sich einfach fantastisch!