Ich freue mich außerordentlich, dass es uns wieder vergönnt ist, einen Gastbeitrag zu lesen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Sanna uns ihre Buchbesprechung zur Verfügung gestellt hat. Sanna ist Buchhändlerin und die Konstanzer unter den Leserinnen und Lesern kennen sie vielleicht aus der „Schwarzen Geiß“, der wunderbarsten Buchhandlung der Stadt.
Darf man als Erwachsener ein Jugendbuch lieben? Oder macht man damit deutlich, dass man irgendwo in seiner Entwicklung steckengeblieben ist? Egal.
Zu Sharon Camerons Buch „Das Mädchen, das ein Stück Welt rettete“ habe ich nur gegriffen, um herauszufinden, ob ich das Buch der Tochter einer Freundin zumuten kann. „Die wahre Geschichte eines Mädchens, das dreizehn Menschen vor den Nazis versteckte und ihnen so das Leben rettete“ bewirbt der Insel Verlag das Buch auf der Rückseite – und da ich mich gern vor der Grausamkeit der Welt drücke, habe ich erstmal einen Bogen um das Buch gemacht.
Die Geschichte von Stefania, genannt Fusia, wird aus ihrer Perspektive erzählt. Ein polnisches Bauernmädchen, das im Geschäft der Familie Diamant anfängt zu arbeiten, von der Familie ins Herz geschlossen wird, sich in einen Sohn verliebt und langsam erwachsen wird. Eine schöne Geschichte voller Wärme. Bis ihre Heimatstadt von den Nazis besetzt wird, ihre jüdische Wahlfamilie fliehen muss und es keinen Ort gibt, an den sie fliehen kann, das gewohnte Leben sich unfassbar schnell auflöst. Wir ‚wissen‘ alle wie die Geschichte weitergeht, aber es ist schwer zu ertragen. Und nicht zu verstehen. Fusia versucht unter Lebensgefahr, ‚ihre‘ jüdische Familie im Ghetto vor dem Verhungern zu retten; versucht, sich selber in ihre Herkunftsfamilie auf dem Land zu retten, doch auf dem Bauernhof findet sie nur ihre verängstige kleine Schwester. Ihre Mutter und der ältere Bruder sind als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert worden.
Mit ihrer kleinen Schwester Helena im Schlepptau kehrt sie in die Stadt zurück. Kämpft jeden Tag ums Überleben. Kämpft um das Leben ihres geliebten Izzo, der in ein ‚Arbeitslager‘ gebracht wird. Und trifft eine Entscheidung, als Max, der Bruder von Izzo, der aus sich durch einen Sprung aus dem fahrenden Zug der Deportation entzogen hat, vor ihrer Tür steht.
Es ist keine ‚Heldengeschichte‘, die Sharon Cameron erzählt. Es ist eine Geschichte von Angst, Verzweiflung, kleinen Schritten – die dazu führt, dass Stefania nach und nach immer mehr Menschen vor den Nazis versteckt und sie dadurch den Krieg überleben lässt. Einige der geretteten Juden verlassen das Versteck, ohne sich zu verabschieden. Gerettete überlebende Juden werden von polnischen Antisemiten umgebracht. Stefanias Mutter und Bruder überleben den Krieg und brechen den Kontakt zu Stefania und Helena ab, weil sie Juden versteckt hatten.
Aber das ist schon eine andere Geschichte. Eine Anmerkung aus dem Nachwort der Autorin, worin man erfährt, was aus dem Leben von Stefania, Helena, Max und den geretteten Juden nach dem Krieg wurde. Man sieht die Fotos – und sieht nichts. Es scheint ein normales Leben…
Stefania Podgórska verstarb 2018 in den USA.
Ach ja – eine kluge Freundin von mir bemerkte, dass sie lieber Geschichten von Zeitzeugen liest, solange die sich noch zu Wort melden. Sie hat sicher recht. Aber mich hat genau diese Geschichte getroffen, beschäftigt, bewegt.
Vielen Dank für diese schöne Rezension. Auch ich würde wahrscheinlich einen großen Bogen um so eine traurige und grausame Geschichte machen und doch ist es tröstlich, zu wissen, dass es immer wueder Mesnchen wie Fusia gibt, denen das Schicksal der anderen nicht gleichgültig ist und sie sich wider alle Gefahren für sie einsetzten. Danke Stefania Podgórska!