Warum eigentlich alte Schachteln? Ist das nicht furchtbar abwertend, igittigitt? Aber nein, ganz sicher nicht! Alte Schachteln sind doch oft etwas Wunderbares. Die größten Überraschungen schlummern in alten Schachteln, viel Wertvolles auch. Ich gab zum Beispiel vor einiger Zeit meiner Tochter einen Brillant-Ring weiter, der noch von der Großmutter war. Er steckte in der Original-Schachtel, der man ihr Alter ansah – zugegeben, ein bisschen schäbig, ein bisschen verschlissen und abgewetzt (also nicht wie wir, versteht sich – wir sind ja sehr jung für unser Alter). Meine kleine Enkeltochter fragte, was es mit dem Ring auf sich habe. Meine Tochter erklärte ihr, das sei ein Erbstück, das sie auch eines Tages erben würde. Nach einem Moment des Grübelns fragte die Enkelin: „Muss ich den Ring dann in der hässlichen Schachtel erben?“
Ich weiß nicht mehr, was meine Tochter darauf antwortete, aber ich denke, ja, das gute Kind sollte den Ring in der alten Schachtel erben. Die verweist doch viel deutlicher als der Ring selbst auf die lange Geschichte, die das Erbstück hinter sich hat. So ein Ring, der ist massiv, den kriegt man nicht so schnell kaputt. Die alte Schachtel, die ist fragil, die ist verletzlich, die muss man ganz vorsichtig behandeln, sonst fällt sie auseinander.
Aber sie beherbergt einen Schatz!
So ist das doch mit uns alten Schachteln auch. D’accord, vielleicht nicht mit allen, aber im Prinzip, Sie wissen, was ich meine. Lassen wir die Ausnahmen mal außen vor.
Die alte Schachtel sagt ganz stolz „Ja, ich stamme aus einer anderen Zeit – aber ich bin noch da! Vielleicht bin ich außen ein bisschen ramponiert, aber ich habe Substanz. Ich war mal strahlend und neu, na und, ist das vielleicht ein Wert an sich? Jung sein ist nichts Besonderes, jeder Trottel fängt jung an, die lumpigste Tüte kommt neu aus der Fabrik. Aber eine alte Schachtel! In Würde alt werden, das muss man erst mal hinkriegen.“ Alles klar?
Vermeintlich verjüngende Maßnahmen gehören übrigens nicht zum würdevollen Altern.
Vor einiger Zeit ging es mir nicht gut. In meinem Inneren tobte ein Kampf, nicht gerade auf Leben und Tod, aber kurz davor. In der neueren deutschen Literatur gehört es zwar inzwischen zum guten Ton, auch noch die ekelerregendsten körperlichen Vorgänge und Gegebenheiten mit gnadenloser Detailtreue darzustellen, aber das übersteigt meine literarischen Fähigkeiten, deswegen kein Wort darüber. Nur so viel: Was ich als Letztes zu mir genommen hatte, beschloss, mich zu verlassen – und zwar auf demselben Weg, wie es gekommen war. In der Folge litt ich noch drei Tage an diesem Noro-Virus, um dann mit einem Spiegelbild konfrontiert zu werden, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Ich sah aus wie… aber lassen wir das, Sie können es sich vorstellen.
Daran änderte auch der Auftrag diverser Farbschichten nichts. Glauben Sie niemals, NIEMALS, Frauenzeitschriften, die behaupten, Abdeckstifte, und wären sie mit noch so verführerischen französischen Namen geadelt, hätten, zumindest wenn man ein gewisses Alter überschritten hat, im wirklichen Leben irgendeine verschönernde Wirkung. Das mag für Fotos taugen, die anschließend noch minutiös digital nachbearbeitet werden. Im wirklichen Leben erzielen Sie damit bestenfalls den Effekt, den die Gräfin Kunigunde von Thurneck beim Bad in der Grotte auf das Käthchen von Heilbronn hatte. Falls Sie es nicht mehr wissen: Kleists armes Käthchen war echt erschreckt.
Oder Sie sind ausgebildete Make-Up-Spezialistin, dann kann es vielleicht auch funktionieren. Bin ich aber nicht, weshalb ich beschloss, dass ich dergestalt verschönt lebend nicht gesehen werde wollte. Denn mein Aussehen glich bedauerlich den zugekleisterten Oberflächen, die mir für gewöhnlich auffallen, wenn ältere Damen zu tief in die Farbtöpfe gegriffen haben. Ist Ihnen wahrscheinlich auch schon aufgefallen, die sehen schlicht gruselig aus. Für gewöhnlich kann man den Damen nicht mal zugutehalten, dass sie einen Noro-Virus hinter sich haben. Sie wollen sich einfach nur „verjüngen“.
Haben wir das etwa nötig? Nein, Mensch!
Ja, die niedlichen jungen Dinger sehen super aus, so glatt und zart. Aber warum sollte man damit konkurrieren? Selbst die schönsten unter ihnen werden eines Tages Falten haben, jedenfalls wenn sie das Glück haben, so alt zu werden wie wir.
In meinen Augen dreht es sich nicht darum, jung auszusehen – ich finde es viel wichtiger, gut auszusehen.
Dazu gehört Würde!
Würde ist in jedem Lebensalter eine schöne Sache, aber wenn die goldene Jugendzeit hinter einem liegt, und zwar schon länger, ist sie unerlässlich. Ein Haufen Schminke, wallende Lockenpracht, eine Haarfarbe, die nicht zum Gesicht passt, das ist doch kontra-produktiv. Da frage ich mich oft genug, ob die Damen keine Spiegel zu Hause haben. Oder ihre Brille nicht aufsetzen, wenn sie reingucken. Das verschönert nämlich ganz ungemein, wie ich morgens immer wieder feststelle. Der günstige Eindruck verliert sich leider augenblicklich, sobald man die Brille wieder aufsetzt. Ich bin nicht gegen Make-up! Weit gefehlt! Aber alles mit Maßen, wie schon Buddha wusste. Ein dezent !!! geschminktes Gesicht zu grauen oder weißen Haaren – das sieht gut aus, finde ich.
Ich hoffe, es ist trotzdem schon klargeworden, dass es mir echt nicht darum geht, jede Falte zu feiern.
Mir ist es wichtig, mich gut zu pflegen – ich schmiere mir so gern Cremes ins Gesicht wie nur je eine Eva, ich mache Gesichtsgymnastik für die straffe Kontur und Yoga für die straffe Figur, ich tusche meine Wimpern, ich gehe nicht ohne Lippenstift aus dem Haus und ich habe sehr viel übrig für schöne Kleidung – aber ich habe echt keine Lust, ein großes Gedöns um das Verbergen meines Alters zu machen. Deshalb:
Jau!