Die These, dass Reden Silber, Schweigen aber Gold sei, lässt sich unter kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten nicht aufrechterhalten. Allerdings ist das Gegenteil auch nicht zwingend richtig. Sowohl Schweigen als auch Reden kann zu überflüssigen und damit vermeidbaren Konflikten führen. Man denkt zwar oft genug: „Nun redet doch endlich miteinander!“, wenn Paare, Familien oder Freunde schweigend aneinander leiden oder verfahrene Situationen sich mit wenigen Worten entspannen ließen. Es lässt sich aber nicht von der Hand weisen, dass man genauso häufig innerlich die Augen verdreht hat, weil es so viel besser gewesen wäre, wenn der eine oder die andere die Klappe gehalten hätte, weil sich die Lage erst durch ein Zuviel an Kommunikation vollkommen verkrampft hat.
Kommunikation ist halt ein schwieriges Metier.
Manches muss einfach mal raus, manches hätte man sich auch schenken können. Vor allen Dingen im „öffentlichen Diskurs“ passieren gerade Dinge, die mir das Gefühl geben, absolut nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein. Ich kapiere es einfach nicht – was möglicherweise natürlich daher rührt, dass ich kein Opfer bin, nie eines sein wollte und mich auch für die Zukunft weigere, eines zu werden, da mag man als alte Schachtel noch so sehr geschmäht, diskriminiert, nicht ernst genommen und von der respektlosen Jugend abgewertet werden. Man hätte also durchaus Gelegenheit und Anlass, sich zu beweinen.
Wie ich jetzt darauf komme? Wie wir leider wissen, gibt es leider immer noch sehr viele tatsächliche Opfer rassistischer oder homophober oder frauenfeindlicher oder fremdenfeindlicher Gewalt. Das ist eine absolute Schande! Diesen tatsächlichen Opfern, so ist mein Eindruck, wird gerade ziemlich Unrecht getan. Wenn ich nämlich im Moment die Zeitung lese, kriege ich das Gefühl nicht los, dass es gerade so richtig schick ist, sich als Opfer zu definieren. Vorbei die Zeiten, als „du Opfer“ eine echte Beleidigung unter Jugendlichen war.
„Opfer“ scheint das neue It-Girl der Medien zu sein.
Seit einiger Zeit kocht in den sozialen und asozialen Medien, aber auch in der Presse, eine Diskussion hoch, deren Ursprünge sicherlich ihre Berechtigung haben, die aber inzwischen zum Teil so merkwürdige Formen angenommen hat, dass ich mir bloß noch ratlos die Augen reibe: Über eine „Identitätspolitik“, die im Wesentlichen darauf hinauszulaufen scheint, dass man eine bestimmte „Identität“ vorweisen muss, wenn man sich zu einem Thema äußern will, das irgendeine Gruppe von Menschen jetzt ausschließlich für sich reklamiert. Als jeweilig Außenstehender darf man über eigentlich gar nichts mehr was sagen. Die Identitätsmanie geht bei manchen inzwischen soweit, dass es als „kulturelle Aneignung“ gilt, wenn man als weiße Person Rassismus anprangert. Das steht nur den Opfern von Rassismus zu. Macht man doch den Mund auf, ist irgendjemand sofort wieder beleidigt.
Das Gedicht einer jungen schwarzen Autorin darf nicht von einer jungen weißen Frau aus dem Amerikanischen in eine andere Sprache übersetzt werden, über die Verschleierung muslimischer Frauen darf man als Nicht-Muslimin nicht reden, jüdische Protagonisten in einer Serie dürfen nur von Juden gespielt werden usw. In der SZ haben kürzlich ein paar Schauspieler ihre sexuellen Präferenzen öffentlich gemacht und während sie einerseits betonten, dass sie selbstverständlich alle Rollen spielen könnten, andererseits gefordert, dass „queere“ Filmfiguren nur von ihnen gespielt werden sollten, weil schließlich nur sie den entsprechenden sozio-kulturellen Hintergrund besäßen.
Ich habe dazu ein paar konstruktive Vorschläge zu machen:
Die „Carmen“ von Bizet sollte nur noch ausschließlich von einer Sinti oder Roma gesungen werden dürfen. Die Sängerin der „Aida“ von Verdi muss, bevor sie besetzt wird, nachweisen, dass sie ein paar Jahre als Sklavin im Haushalt einer reichen ägyptischen (zur Not geht auch eine sonstige nordafrikanische oder arabische) Familie tätig war, wohingegen der „Radames“ auf eine brillante militärische Karriere zurückblicken können muss. Für den „Troubadur“ ist es einfacher, der Tenor sollte sich lediglich ein paar Jahre als Straßensänger durchgeschlagen haben, allerdings muss er aristokratischer Abstammung sein. Und der Octavian im „Rosenkavalier“ muss zwingend von einer Transgender- Person gesungen werden.
Es sollte auch niemand mehr als Richterin oder Richter über Straftäter zu Gericht sitzen dürfen, der keine kriminelle Vergangenheit vorzuweisen hat und kein Priester sollte Menschen trauen dürfen, der nicht mindestens eine Ehe hinter sich hat, oder?
Wenn man sich all diese „shitstorms“ und Aufschreie der irgendwie kulturell „Beleidigten“ anguckt, kommt man nicht umhin, dem eingangs erwähnten Sprichwort doch eine überragende Berechtigung zuzusprechen – das musste jetzt allerdings mal gesagt sein.
super liebe Renate