Wenigstens ist jetzt Ruhe im Gebälk

Wenigstens ist jetzt Ruhe im Gebälk

Wenigstens ist jetzt Ruhe im Gebälk 846 605

Eine ehrwürdige alte Weisheit besagt, dass man an manchen Tagen besser gar nicht erst aufgestanden wäre. Wäre ich doch neulich im Bett geblieben! Was hätte ich mir ersparen können… Da wir, seit bei drei meiner Freundinnen eingebrochen wurde, sehr penibel sind im Absperren unser beiden Türen nach draußen, der vorderen zur Straße hin und der hinteren zum Garten, kann es nun gar nicht mehr vorkommen, dass man versehentlich das Haus ohne Schlüssel verlässt. Aber warum einfach, wenn es auch kompliziert geht, man kann sich schließlich auf viel raffiniertere Art aussperren. Man kann nämlich, genau das ist mir gelungen, die hintere Tür aufsperren, den Schlüssel im Schloss steckenlassen, durch die Tür ins Freie treten und dann die Tür hinter sich zu ziehen. Fragen Sie mich nicht, wie das passieren konnte, ich bin selber ratlos. Es war ein Präzedenzfall und ich bin zuversichtlich, es wird nie wieder vorkommen. Aber einmal reicht ja auch. Ich wollte an diesem Spätnachmittag nur noch mal eben schnell zum Drogeriemarkt, nichts Wichtiges, ich hätte es auch auf den nächsten Tag schieben können. Ein kleiner Gang wird mit guttun, dachte ich noch, bisschen Bewegung schadet ja nie. Wer mich kennt, dem brauche ich nicht extra zu erzählen, dass ich selbstverständlich ohne Handy aus dem Haus ging. Mein Handy fühlt sich sehr wohl auf meinem Schreibtisch, und überhaupt, früher ging man ja auch ohne Telefon und hat überlebt. Ja, ich weiß, man kann fürs selbe Geld auch intelligenter denken – aber offenbar brauchte ich die Erfahrung.

Ich stand erst mal ziemlich belämmert vor der geschlossenen Tür – Ulrich in Berlin, unsere Erdgeschoss-Mitbewohnerin Selma nicht zu Hause, ich ohne Handy. Habemus insalatam, wie der Lateiner sagt. Ich dachte, ich versuche mein Glück erst einmal bei unseren Lieblings-Nachbarn und bitte um Asyl. Leider blieb mir auch diese Tür verschlossen, keiner reagierte auf mein Klingeln, im Garten waren sie auch nicht. Trübselig und verlassen marschierte ich Richtung Büro, als eine andere nette Nachbarin auf dem Rad an mir vorbeikam. Ich rief hinter ihr her, schilderte meine Kalamität und bat sie, telefonieren zu dürfen. Die einzige Handy-Nummer, die ich auswendig weiß, ist Ulrichs. Ich hatte das große Glück, ihn just in einer Seminar-Pause zu erwischen und bat ihn, Selma anzurufen, mich dann eventuell auf dieser Nummer zurückzurufen. 

Das tat er auch, (die Nachbarin bewies engelhafte Geduld) nur um mir mitzuteilen, dass er Selma nicht erreichen konnte. Aber er riet mir, doch zu versuchen, ob nicht noch jemand im Büro sei, Markus zum Beispiel. Ich sah Markus‘ Fahrrad und klingelte zunächst hoffnungsfroh, dann immer verzweifelter, minutenlang Sturm. Und wenn ich Sturm sage, meine ich Sturm! Leider gänzlich ohne Erfolg. Also trottete ich ein zweites Mal zu den Lieblings-Nachbarn, um auch dort nochmal mein Glück zu versuchen. Offenbar immer noch niemand zu Hause, keiner erhörte mein Flehen. Also gut, dachte ich, dann gehe ich jetzt wenigstens doch noch zum Drogerie-Markt.

Auf dem Weg dorthin radelte meine Freundin Ann, die ich sonst niemals auf der Straße treffe, an mir vorbei. Diese überaus kluge Frau hatte ihr Handy dabei, weshalb ich nun selbst ein weiteres Mal probieren konnte, Selma zu erreichen (Ulrich hatte mir ihre Nummer gegeben), die es aber hielt wie ich bis dato, sie war über Handy einfach nicht zu erreichen. Ann leistete mir noch eine Weile Gesellschaft, dann radelte sie weiter nach Hause. Ich war inzwischen schon etwa anderthalb Stunden obdachlos, es wurde mir langsam kühl, es fing an zu regnen und ich musste aufs Klo. Also ging ich zurück in unseren Garten, nahm einen großen Stein und schlug eine Fensterscheibe der Tür ein. Verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Maßnahmen!

Eine halbe Stunde später kam Selma nach Hause, ich hätte bloß nur noch ein bisschen Geduld aufbringen müssen – konnte ja kein Mensch ahnen! Außerdem war Geduld noch nie meine Stärke. Selma erinnerte mich daran, dass wir doch mal ein sinnreiches Versteck für den Schlüssel der vorderen Tür geschaffen hatten – ich schlug mir mit der flachen Hand an die Stirn, Sie kennen die Geste, man bringt damit elegant zum Ausdruck, für wie blöd man sich hält. Das mit dem Notfall-Schlüssel hatte ich völlig vergessen. Markus, dem ich am nächsten Tag die Story erzählte, gestand mir, er habe das Sturmklingeln durchaus gehört, sei aber in einer wichtigen Video-Konferenz und deshalb unabkömmlich gewesen. Und die Lieblings-Nachbarn, die auch zu Hause gewesen waren, wissen dank mir jetzt, dass sie eine hypermoderne Klingelanlage ihr Eigen nennen, die sich unter bestimmten Bedingungen selbst auf lautlos stellt. Der Glaser hat übrigens zugesagt, dass er die Tür zuverlässig innerhalb der nächsten vier Wochen reparieren wird. Aber auf eines können Sie Gift nehmen, nie mehr gehe ich ohne Handy aus dem Haus!

Erinnern Sie sich noch an mein Drama mit den Tauben? Um nun wenigstens diese alte Geschichte erfreulich abzuschließen: Nach jetzigem Stand der Dinge war unsere Klage auf Eigenbedarf endlich erfolgreich! Das Luxus-Appartement der Tauben unter unserem Dach wurde zwangsgeräumt. Vollbracht hat dieses Wunder ein Alpinist, geprüfter Bergführer, der, vorbildlich gesichert versteht sich, aus einem der Fenster kletterte, in abenteuerlicher Weise auf dem Dach herumturnte, die Viecher verjagte, alle Löcher, die er finden konnte, verstopfte, verdrahtete, mit Dachziegeln verbarrikadierte und auf diese Weise dafür sorgte, dass jetzt endlich Ruhe im Gebälk ist!  Dazu brauchte er zwar drei Anläufe, weil die Mistviecher auch nicht kampflos aufgeben wollten und sich mehrmals aufs Neue Zutritt verschafften, wobei sie nicht davor zurückschreckten, sich durch die schmalsten Spalten zu quetschen, ohne so gescheit zu sein, auf die Art und Weise auch wieder rauszukommen. Doch der heldenhafte Alpinist wollte sich auch nicht geschlagen geben und so wie es aussieht, hat er die Oberhand behalten. Entschlossenheit gepaart mit Kletterkunst – der Bergführer, er lebe hoch!

Bild von MasterTux auf Pixabay 
7 Kommentare
  • Liebe Renate –
    obwohl ich ja schon den Vorzug hatte, die Geschichten vorab zu hören, war es eine Freude, sie noch einmal zu lesen.
    Als es um das Versteck des Schlüssels der vorderen Haustür ging, dachte ich: sie wird doch nicht – und sie hat auch nicht.
    Ganz liebe Grüße _ Luitgard

  • Immer wieder ein Genuss, diese herrlichen Texte zu lesen – sogar, wenn man die Geschichte schon kannte 😉

    • Liebe Marianne, woran man wieder erkennen kann, dass doch nichts so schlecht ist, dass es nicht auch was Gutes hätte, wenigstens kann man hinterher darüber lachen – und vielen Dank für das Kompliment, ich habe mich sehr darüber gefreut!

  • Liebe Renate, falls es doch nochmal passieren sollte, kommst Du einfach zu mir, da gibt’s auch ein Klo 😉… liebe Grüße Susanne