Kennen Sie eigentlich Harriet Howard?

Kennen Sie eigentlich Harriet Howard?

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Die Liebe, wer wüsste das besser als wir alten Schachteln, ist ja keineswegs nur romantisch. Sie besitzt so viele Facetten, die kann man gar nicht alle aufzählen, und jeder muss seinen eigenen Weg finden, damit umzugehen. Aus diesem Grund gibt es auch zahllose kluge Bücher darüber, denen will ich gar nicht ins Handwerk pfuschen. Lieber will ich den Blick auf einen Aspekt lenken, über man doch eher selten nachdenkt. Das sind die handfesten Auswirkungen auf politischer Ebene, die sich durch einen „coup de foudre“ ergeben können. Geschichten aus der Geschichte gehören ja zu meinen Lieblings-Zeitvertreiben, deshalb will ich Sie heute mit einer Frau bekannt machen, die einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die französische, und damit indirekt auf die europäische, ja sogar auf die mexikanische Geschichte genommen hat.

Im Juni des Jahres 1847 ereignete sich dieser „coup de foudre“, in London, im eleganten Salon einer Lady Blessington, Gräfin Blessington, um genau zu sein. Sie war eine irische Schriftstellerin und Klatschkolumnistin, mit allem, was Rang und Namen hatte bestens vernetzt, wie wir heute sagen würden, und sie hatte an jenem Abend zu einem Empfang geladen. Die Herrschaften erschienen zahlreich, die Damen in hinreißenden Abendkleidern, die Herren würdevoll im Frack, alles sehr edel und distinguiert. Eine junge Frau befand sich unter den Gästen, die in Bezug auf „Rang und Namen“ eher nicht so viel zu bieten hatte, dafür jedoch umso mehr in Bezug auf Schönheit. Volle schwarze Locken umrahmten ein Gesicht, dass man auch auf einer antiken Gemme hätte finden können, und ihr klassischer griechischer Kopf korrespondierte hervorragend mit ihrem vollendeten Körper. Ihr Name, Harriet Howard, ihr Metier, so hieß es zumindest, Schauspielerin.

Zu den Gästen von Lady Blessington zählte an diesem Abend auch ein zwar nicht direkt gutaussehender, aber sehr charmanter Mann, der, obwohl nicht gerade großgewachsen, doch die Blicke auf sich zog und weniger über Rang, aber doch über einen sehr illustren Namen verfügte: Er nannte sich Louis-Napoleon Bonaparte und war der Neffe des großen Napoleon. Er war 1846 durch eine abenteuerliche Flucht aus der Festung Ham entkommen, in der er zwar nach einem Putschversuch seit 1841 gefangen gehalten wurde, was ihn jedoch nicht davon abgehalten hatte, während dieser Zeit mit einer Geliebten zwei Söhne zu zeugen. Aber solche Dinge sollen ja auch schon anderen Gefangenen geglückt sein. Louis-Napoleon Bonaparte jedenfalls rettete sich ins Vereinigte Königreich, wo er, der früheren Feindschaft seinem Onkel gegenüber zum Trotz, von der feinen Gesellschaft sehr freundlich aufgenommen wurde.

An jenem besagten Abend bei Lady Blessington wurde ihm also jene junge Schönheit vorgestellt, die in tiefer Reverenz vor ihm versank. Und kaum hatte sie sich wieder erhoben, war es um die beiden auch schon geschehen. Die Anziehungskraft war auf beiden Seiten unwiderstehlich, es gab kein Halten mehr, ich sagte es ja bereits, coup de foudre. Man kann sich vorstellen, was damals hinter vorgehaltener Hand so alles getuschelt wurde: Was hatte diese junge Frau, unbedarft, ohne adeligen Hintergrund, einem solchen Mann zu bieten, über die Maßen ehrgeizig (eines seiner Ziele, aber das nur nebenbei, war „Frankreichs Größe und Ehre wieder herzustellen“, kommt Ihnen das bekannt vor?), mit einem illustren Namen und hochfliegenden Plänen. Welch ein Glück, für diese unbekannte Schönheit, von der man nicht viel wusste, von einem Bonaparte zur Kenntnis genommen zu werden. Doch man wird sehen, dass das Glück eher auf seiner als auf ihrer Seite lag.

Wer war Harriet Howard nun wirklich? Ihr tatsächlicher Name war Elizabeth Ann Haryett, geboren 1823 als Tochter eines angesehenen Schuhmachers aus Brighton. Von früher Jugend an hatte es sie zur Bühne gezogen, lieber als zu sticken, wie es von einem jungen Mädchen damals erwartet wurde, rezitierte sie Shakespeare. Sie träumte davon, auf der Bühne Erfolge zu feiern, bejubelt und gefeiert zu werden.  Als sich die Gelegenheit bot, ließ sie sich sechzehnjährig von einem wohlhabenden Jockey aus ihrem Elternhaus „entführen“, der sie nach London brachte, wo sie sich fortan Harriet Howard nannte. Ihr schauspielerisches Talent erwies sich dort allerdings als geringer als erhofft, ungeachtet ihrer großen Schönheit blieb der Jubel aus. Ihren Weg machte sie trotzdem. Sie wurde 1841 die Geliebte eines sehr reichen Mannes, Major Mountjoy Martyn, dem sie einen Sohn gebar, der in der Gesellschaft als ihr jüngerer Bruder ausgegeben wurde. Eine gewisse ehrbare Fassade musst auch an der Grenze zwischen „Welt“ und „Halbwelt“ gewahrt werden. Ungewöhnlich an der Beziehung zwischen Harriet und dem verheirateten Major war eigentlich nur, dass er ihr nicht nur sein Herz, sondern auch ein sehr beträchtliches Vermögen zu Füßen legte, dass es ihr erlaubte, ein luxuriöses Leben zu führen.

Was Major Mountjoy Martyn wirklich davon hielt, dass ihm zugunsten eines französischen Putschisten der Laufpass gegeben wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, doch immerhin geschah es mit seinem Wissen, dass seine Geliebte mit seinem Geld einen Hausstand mit einem anderen gründete. Was sollte er auch machen: Miss Howard war entschieden, von nun an gehörten ihre Tage und Nächte Monsieur Bonaparte, ebenso wie ihr Vermögen, denn der gute Louis-Napoleon war praktisch mittellos. Man könnte sagen, die Verhältnisse hatten sich umgedreht.

Harriet Howard entwickelte sich zur größten Unterstützerin des späteren Napoleon des Dritten. Sie war seine Ratgeberin, seine Geldgeberin, die unentwegte Anfeuerin seiner Zukunftsträume. Für ihn war sie bereit, alles zu geben, und das war nicht nur ein Lippenbekenntnis, wie das bei Verliebten ja öfter vorkommt, nein, sie stellte es handfest unter Beweis. Als es im Jahr 1848 in Frankreich zu großen Unruhen kam, und die Zeit sich günstig für einen Umsturz zeigte, war es Harriets Vermögen, dass Napoleon die Rückkehr nach Frankreich und die Ergreifung der Macht ermöglichte. Mit Harriets Vermögen gewann Louis-Napoleon Bonaparte die Wahl und wurde Präsident der Zweiten Republik.

Gedankt, sagen wir es gleich, gedankt hat er es ihr nicht. Statt ihrer wurde Napoleons Cousine, Prinzessin Mathilde Bonaparte, die „Dame des Hauses“, die im Elysée-Palast die Honneurs machte – Harriet war schließlich nur die „Maitresse“. Die grundgütige Harriet tröstete sich damit, dass Napoleon ihr die beiden Söhne, die er mit einer anderen gezeugt hatte, überließ. Sie kümmerte sich wie eine Mutter um diese Kinder, die sie wirklich liebte. „Nun haben wir drei Kinder“, soll Napoleon etwas scheinheilig zu ihr gesagt haben und Harriet war es zufrieden. Hauptsache, ihr angebeteter „Prince-Président“ kam regelmäßig vorbei. Wie man sich aus dem Elysée-Palast schleicht, haben ja auch spätere Präsidenten noch gewusst. Und wie heute, blieb auch damals der Skandal nicht ganz aus, doch noch waren die Dinge zwischen Louis-Napoleon und Harriet in Ordnung.

Louis-Napoleon war keineswegs gewillt, die Macht wieder aus den Händen zu geben und auch dabei half ihm ganz wesentlich das Vermögen der ihm nach wie vor ergebenen Harriet. Statt eines coup de foudre gab es diesmal jedoch einen coup d’état und aus Louis-Napoleon wurde zunächst 1851 ein Diktator und schließlich 1852 Napoleon der Dritte, Kaiser der Franzosen. Ohne ihre Opferbereitschaft, ihre völlige Hingabe an diesen Mann, wäre der Staatsstreich niemals geglückt. Sie opferte nicht nur das vorhandene Vermögen, sie verschuldete sich für ihren Geliebten, verkaufte ihre Pferde, ihren Schmuck, kurz, die gute Harriet gab wieder einmal alles. 

Sollte Miss Howard diesmal gedacht haben, dass Napoleon sich wie ein Gentleman verhalten würde, hatte sie sich jedoch abermals getäuscht. Diese Erfahrung machte sie recht schnell, als sie begann, einzufordern, worauf sie, nach allem, was sie für ihn getan hatte, glaubte ein Recht zu haben. Sie wollte sich nicht mehr mit der Rolle der diskreten Geliebten zufriedengeben, sie wollte an die Öffentlichkeit. Mademoiselle begann also, sich zu zeigen, flanierte in den Tuilerien-Gärten, ließ sich bei Empfängen in Versailles sehen, brillierte auf Bällen. Napoleon allerdings erwies sich als absolut „old school“ – man machte seine Maitresse schließlich nicht zur Kaiserin. Unmöglich! Da kam ein ebenfalls wunderschönes spanisches Edelfräulein mit einem untadeligen Ruf schon eher in Frage. Es war Eugénie, die Kaiserin der Franzosen wurde, nicht Harriet Howard.

Noch vor seiner Eheschließung wurde Harriet Napoleon III mehr und mehr peinlich, der also beschloss, sie loszuwerden. Ohne sie über seine Heiratspläne zu informieren, schickte er sie auf eine „Mission“ nach England. Harriet, die immer noch hoffnungslos verliebte Frau, fühlte sich durch solch ein Vertrauen geehrt, ohne zu ahnen, dass sie damit mehr oder weniger elegant abserviert wurde. Sie brach auf, doch bevor sie sich endgültig nach England einschiffte, fiel ihr Blick auf eine Zeitungs-Schlagzeile: „Napoleon III verkündet seine Verlobung mit Eugenia de Montijo“. Können Sie sich den Schlag vorstellen? 

Eine bis ins innerste Mark verletzte Frau machte augenblicklich kehrt, um in Paris Napoleon zur Rechenschaft zu ziehen, doch alles, was sie vorfand, als sie zunächst ihre eigenen Räumlichkeiten betrat, war der Beweis, dass man dafür gesorgt hatte, dass es keine Beweise mehr gab für ihre enge Verbindung mit dem Kaiser der Franzosen: Ihre Schränke aufgebrochen, ihr Sekretär durchwühlt, gestohlen alles, was ihre enge Beziehung zu Napoleon belegt hätte. Es war eindeutig, was man von ihr erwartete, nämlich sang- und klanglos in der Versenkung zu verschwinden. Nicht der Schatten eines Fleckchens sollte auf Napoleons weißer Weste zu sehen sein.

Harriet war klug genug zu erkennen, dass sie keine Chance mehr hatte, eine offizielle Rolle zu spielen. Also akzeptierte sie, was Napoleon ihr immerhin anbot, nämlich den Titel einer Comtesse de Beauregard, zusammen mit einem Teil der gewaltigen Summe, die sie ihm zur Verfügung gestellt hatte. Sie hörte jedoch nicht auf zu hoffen, dass Napoleon zu ihr zurückkehren würde. Und tatsächlich, die kühle Eugénie war offenbar nicht die Erfüllung seiner Träume. Er begann bereits nach einem halben Jahr, sich so diskret wie möglich wieder mit Harriet zu treffen. So kühl, dass ihr das nichts ausmachte, war Eugénie allerdings auch wieder nicht. Sobald sie davon erfuhr, und natürlich trug man es ihr zu, machte sie dieser neuen alten Liebesgeschichte, schäumend vor Wut, ein Ende.

Es war endgültig Zeit, sich geschlagen zu geben. Ein weiterer, sehr schmerzhafter Schlag traf sie, als ihr von der Mutter der Kinder die beiden Söhne Napoleons des Dritten weggenommen wurden. Sie hatte diese Kinder wirklich geliebt wie ihr eigenes. Nun kam zum Liebesschmerz auch noch der einer Mutter, die ihre Kinder verliert. Harriet versuchte sich an einem konventionelleren Leben, heiratete einen Herrn Clarence Trelawny, lebte mit ihm zunächst in Schottland, wurde nicht glücklich, trennte sich wieder, kehrte zurück nach Frankreich, um von ferne in der Oper noch einmal Napoleon zu sehen, starb nur zweiundvierzigjährig und vielleicht dürfen wir so romantisch sein zu sagen, an einem gebrochenen Herzen.

Ich weiß, Fragen nach dem „was wäre, wenn…“ erübrigen sich, man kann es ja niemals wissen. Aber dass die Geschichte Frankreichs, damit auch die Geschichte Preußens, damit die Geschichte Deutschlands einen anderen Weg genommen hätte, ohne die große Liebe von Harriet Howard, sich das auszumalen, dazu gehört nicht viel Phantasie. Und der bedauernswerte Maximilian, der nur durch die Machtspiele Napoleons des Dritten in das mexikanische Abenteuer verwickelt wurde, der würde womöglich sein Leben, statt vor dem Feuer eines Erschießungskommandos, vor einem gemütlichen Kaminfeuer beendet haben. Damit hätte die Kunsthalle Mannheim zwar ein weltberühmtes Bild weniger, aber es gäbe dafür bestimmt ein anderes. Herrn Manet wäre schon etwas eingefallen, vielleicht ein romantisches Liebesbild.

6 Kommentare
  • Was eine rasante, spannende und tragische Geschichte! Ich habe jedes Wort aufgesaugt! Danke!

    • Liebe Vaya, ich danke dir, ich freue mich sehr, so einen tollen Kommentar zu bekommen! Man kann ja auch nicht sicher sein, dass andere ebenfalls Freude an „Geschichten aus der Geschichte“ haben, aber ich werde auch in Zukunft gelegentlich welche einstreuen.

  • Ja, liebe Renate aus Fleisch und Blut, tu das, ich finde solche Geschichten ja auch immer höchstinteressant und Du erzählst sie zu und zu schön!

    • Liebe Luitgard, es ist sehr schön, dass die meine Geschichten gefallen und ich finde es super, dass du dir so oft die Mühe machst, etwas zu schreiben. Ganz herzlichen Dank dafür. Die „Renate aus Fleisch und Blut“ braucht wohl aber eine Erläuterung, denn nicht alle lesen ja auch meine Kolumnen in den Newslettern der Dehner Academy. Da habe ich im gerade erschienenen Oktober Newsletter über chatbots geschrieben. Wer sich auch für diese Kolumnen interessiert, findet sie auf der Homepage der Dehner Academy. Bei Amazon ( ja, ich weiß, aber es ging nicht anders) gibt es auch ein e-Book mit früheren Kolumnen zu kaufen, Titel „Hauptsache, Mann und Kinder gesund“. Ich hoffe, man verzeiht mir die Eigenwerbung.

  • Ein äusserst interessanter Blickwinkel auf diesen Ausschnitt der Geschichte. Hab es mit Freude gelesen (leider nicht am Arenenberg…) Auch so könnte man den Leuten Geschichte näherbringen. Amüsant, lehrreich und sehr vergnüglich. Danke, liebe Renate

    • Lieber Bruno, ich danke dir für diesen schönen Kommentar! Wir hier aus der Gegend haben immerhin den Vorteil, dass wir sehr schnell im immer lohnenswerten Arenenberg sind…