Ach, wie wenig nobel…

Ach, wie wenig nobel…

Ach, wie wenig nobel… 846 605

Das nachfolgende Gedicht hat der unvergleichliche, der großartige, der einzige Kurt Tucholsky 1931 geschrieben, dabei kannte der die europäische Union noch gar nicht… 

An das Baby

Alle stehn um dich herum:
Fotograf und Mutti
Und ein Kasten, schwarz und stumm,
Felix, Tante Putti…
Sie wackeln mit dem Schlüsselbund,
fröhlich quietscht ein Gummihund.
„Baby, lach mal!“ ruft Mama.
„Guck“, ruft Tante „eiaeia!“
Aber du, mein kleiner Mann,
siehst dir die Gesellschaft an…
Na, und dann – was meinste?
Weinste.

Später stehn um dich herum
Vaterland und Fahnen;
Kirche, Ministerium,
Welsche und Germanen.
Jeder stiert nur unverwandt
Auf das eigne kleine Land.
Jeder kräht auf seinem Mist,
weiß genau, was Wahrheit ist.
Aber du, mein guter Mann,
siehst dir die Gesellschaft an…
Na, und dann – was machste?
Lachste.

Nein, die europäische Union kannte er noch nicht. Aber er kannte all die Vaterländer, all die Patrioten, all die bekloppten Nationalisten, die kriminellen Nazis, die, man möchte es nicht glauben, heute noch ihren Schwachsinn verbreiten. Nicht nur in Europa, natürlich, sondern gerade besonders gern in Amerika, aber auch sonst überall auf der Welt. Es ist zum Heulen! 

Tucholsky hat ihn nie bekommen, den Literatur-Nobelpreis. Und auch ein Tucholsky konnte 1931, bei all seiner bewunderungswürdigen Weitsicht, wohl auch noch nicht ahnen, wie sehr nicht nur den deutschen Männern das Lachen vergehen würde.

Aber ich verwette meine Computer-Tatstatur samt meines  rechten und linken Zeigefingers (lachen Sie ruhig, Zehnfingersystem war noch nie mein Ding), dass er sich im Grabe umgedreht hat, und zwar mehr als einmal, bei der Verleihung des diesjährigen Literatur- Un-Nobel-Preises. Allerdings: Kitschige Gedichte schreiben hätte er vermutlich gar nicht hingekriegt… (Ich bitte bei der Gelegenheit gleich um Vergebung wegen des unnoblen Wortspiels, sollte sich angesichts von Eigennamen von selbst verbieten, ich weiß, aber ich konnte nicht widerstehen.)

 

Noch ein Wort zu den Nobel-Preisen

Zu den Nobel-Preisen muss ich noch ein Wort loswerden! Es tut mir leid, ich kann es mir nicht verkneifen. So sehr es einen unter Diversity- und Gender-Gesichtspunkten freuen mag, dass zwei Frauen den Chemie-Nobelpreis erhalten haben, so sehr entsetzt es mich, wofür sie ihn bekommen haben. Die Entwicklung der Gen-Schere CrispR! In meinen Augen ist es eine kriminelle Handlung, in das Genom einzugreifen. In das menschliche allemal, aber nicht nur das, auch mit tierischem oder pflanzlichem Leben herum zu pfuschen, stellt für mich eine strafbare Handlung dar, tut mir leid, wenn ich das jetzt so harsch sagen muss. Da können die Vertreter solcher Techniken noch so lange beteuern, was sie alles Gutes damit im Sinn haben, Krebs besiegen, gegen Unkräuter resistent machen, Schädlinge ausrotten und was nicht alles. Das ist doch alles Bullshit, wenn man weiß, wie hoch das Missbrauchs-Risiko dabei ist und wenn man noch dazu überhaupt gar nicht weiß, was dieses Verfahren letzten Endes tatsächlich für die Natur und damit auch für uns Menschen bedeutet. Wenn wir aus den letzten paar hundert Jahren eines gelernt haben sollten, dann doch das: 

Was missbraucht werden kann, das wird auch missbraucht!

Und das erschien den Herrschaften in Stockholm preiswürdig??? 

Es gibt gerade vieles, an dem man verzweifeln könnte, ich will das C-Wort gar nicht hinschreiben, ich sage auch nichts zu deutschen Politikern oder Konzernlenkern, auch die neun Milliarden für die deutsche Lufthansa, während Krankenschwestern, Pfleger, Kita- und Altenpflege-Beschäftigte immer noch auf gerechte Bezahlung warten, will ich mit keinem Wort erwähnen, aber ich muss mich gerade echt ein bisschen anstrengen, zu meiner sonst üblichen entspannten Heiterkeit zu finden. Ich gebe mir natürlich trotz allem trotz Mühe und beende diesen Text deshalb mit einer hoffnungsvolleren Note. Auch wieder ein Gedicht, aber diesmal ein Haiku von Kobayashi Issa, der von 1763 bis 1828 lebte, das Gedicht hat also, darin uns alten Schachteln gleich, auch schon ein paar Tage auf dem Buckel:

Unsere Welt ist flüchtig wie Tau – mag sein… und dennoch, dennoch…

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay 
5 Kommentare
  • Als ich vor kurzem las, wofür die Frauen den Nobelpreis bekamen, dachte ich, ich kipp vom Stuhl. Sind die denn bescheuert? Danke für Deinen Blog! Vaya

    • Liebe Vaya, ja, das alte Flehen „oh Herr, lass Hirn vom Himmel regnen“ hat nichts von seiner Aktualität verloren…

  • Eine Frage hätte ich: Was hat den die Computer-Tat für eine Statur?

    • Die Computer – Tat nimmt in meinem Fall öfter die Statur von Atten- Tat an. Auch eine sehr unattraktive äußere Form, irgendwie verquer und ins Lachhafte hineinspielend, wahrscheinlich die subtile Rache für das Zweifinger-Suchsystem. Aber es zählen ja die inneren Werte, was in diesem Fall auf den Inhalt hinausläuft, und gegen den hast du ja vielleicht keine Einwände. Ich nehme jedenfalls mal an, es wäre sonst deine Computer-Tat gewesen, sie an der Tastatur zu artikulieren, mit schlanker, eleganter Statur.

  • ,Narren vermehren sich, wenn die Klugen schweigen‘ Zitat von Nelson Mandela